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Die Konkubine des Erzbischofs

Die Konkubine des Erzbischofs

Titel: Die Konkubine des Erzbischofs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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führte mich zum Richtplatze im Judenbüchel vor dem Severinstore. Er fragte mich nicht, was ich im Sinne hatte, und ich sagte es ihm nicht, weil ich meinte, ihm keine Erklärung schuldig zu sein. Jedes Gefühl war mir aus den Gliedern, dem Herzen und dem Kopfe gewichen.
    Unter Glockengeläut hatten die Schöffen, Büttel und Gewaltrichterboten den schwarzen Henkerkarren mit dem Henker und meinem Bruder hierher gebracht. Das gemeine Volk war zahlreich versammelt, um sich das Ereignis nicht entgehen zu lassen. Kaum einer bot in seinem Herzen Platz für Zweifel ob Rignaldos Schuld, und so war jedermann einverstanden, dass er stürbe. Ich sendete ihm einen stummen Gruß mit meinen verweinten Augen. Er aber hieß mich mit seinem Blicke, den Lebensmut nicht fahren zu lassen. Zwar zitterte er, und das blanke Entsetzen, das die Seele natürlicherweise vor dem Tode ihres Körpers erfasst, stand ihm im Gesichte. Aber ich war stolz, dass er eine ehrbare Haltung bewahrte, bis das schändliche Beil ihn traf. Gnädig war der Henker, dass er sein blutiges, unehrenhaftes Werk mit nur einem einzigen Hieb vollbrachte. Denn das Töten eines Menschen bleibt, auch wenn es um der Ordnung willen notwendig ist, vor Gott immer eine Sünde.
    Als Rignaldos Blut spritzte und sein abgetrennter Kopf den verdutzten Blick des Enthaupteten annahm, grölte das gemeine Volk, das nichts von der echten Hoffnung auf das künftige Leben weiß. Täglich bete ich für Rignaldos Seele und bin sicher, dass ihm die Gnade Gottes zuteil wird.

In den nun folgenden Tagen nach Rignaldos Tod konnte ich meinen Pflichten immer weniger nachkommen. Des Nachts schüttelte mich ein schlimmes Fieber, und am Tage hinderten mich schreckliche Koliken. Ich hätte im Stehen schlafen können und wusste nicht mehr die Tageszeit. Fürsorglich deckte mich der langsame Gisbert, indem er mir viele meiner Aufgaben im Hause abnahm, schaffte ich es doch kaum mehr, für meinen geliebten Sohn zu sorgen. So nämlich versank ich im Fieber, das die Sinne verwirrt wie die Träume.
    In meinen Fieberträumen begaben sich gar wundersame Dinge. Meine Finger wuchsen zu selbständigen Personen heran, gewandet in die Farben des Regenbogens. Sie sprachen mit den Zehen, die ebenfalls zu Personen geworden waren, jedoch zu dunklen Kobolden aus weichem Holze und aus hartem Erze.
    Sagte der eine Finger fröhlich zu einem Zeh: »Guten Tag«, so antwortete der düster: »Ich verdamme dich.« Sprach aber ein anderer düsterer Zeh zu dem einen Finger, der von himmelblauer Farbe war: »Wo bist du?«, bekam er zur Antwort: »Ich bin bei dir.«
    Aus meinem Nabel entsprang eine wunderschöne, grüne Frau von luftiger Beschaffenheit. Sie rief: »Wer seid ihr?« Die Kobolde antworteten im Chor: »Wir sind die, die du siehst.« Die Regenbogenmenschen aber sagten: »Wenn du uns siehst, bist du nicht, was du zu sein scheinst.«
    Mein Kopf wurde zur blutroten Sonne. So heftig sie auch zu scheinen versuchte, sie erwärmte die Kobolde nicht.
    »Wir sind ungehorsam«, brüllten sie.
    »Nur weil ihr glaubt, ungehorsam zu sein, seid ihr gehorsam«, kam die weise Antwort der Sonne.
    »Selbst wir verstehen dich nicht«, gaben die Regenbogenfinger zu.
    Meine weißen Brüste kugelten über die grüne Wiese und begruben die Kobolde unter sich. Dann aber stritten sie, weil beide zum gelben Monde werden wollten.
    »Ich bin der wahre Mond«, sagte die eine. Die andere aber widersprach: »Denkst du. Wenn ich nicht bin, bist du auch nicht. Darum bin ich der, den alle den gelben Mond nennen.«
    Die erste gab sich nicht geschlagen: »So rund und weich und schön bin ich und so gut nähre ich den Sohn, dass ich eigentlich der wahre Mond bin, während du bloß das Abbild bist, das Spiegelbild, eine purpurne Nachahmung, völlig wertlos.«
    »Bin ich wertlos, so bist auch du wertlos, weil du farblos bist«, entgegnete sie. »Ich habe den Regenbogen in mir und das ist schließlich etwas wert.«
    »Da siehst du«, triumphierte die andere. »Der Regenbogen gehört dem Tage, der Mond gehört der Nacht. So gehöre ich der Nacht, weil ich der Mond bin. Und du gehörst dem Tage, weil du den Regenbogen in dir hast.«
    »Aber was bin ich?«
    »Du bist, was du bist, mache dir darum keine Sorgen. Regenbögen haben keine Sorgen. Farben haben keine Sorgen. Nur die Nacht hat Sorgen. Beneide also nicht mein düsteres Schicksal.«
    Da plusterten sich die Kobolde auf und erstanden wieder und fraßen die Regenbogenfinger. Als sie aber diese gefressen

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