Die Konkubine
Eifersüchteleien, kleine oder größere Anfeindungen. Je nach Charakter eben.
Und immer wieder erntete sie ein Lächeln, besonders von den Taxifahrern. «Ni shi Deguoren ma? Sie sind Deutsche?» Dem Lächeln folgte unweigerlich ein schon fast zärtliches Klopfen auf das Armaturenbrett eines klapprigen Vehikels und der Satz: «Die Deutschen bauen gute Autos. Nicht so wie die Japaner. Meines hat schon über eine Million Kilometer.»
Zuerst dachte sie, sie habe sich verhört. Doch der Fahrer bestand auf seiner Million. Dieser wusste sogar, dass einst, vor der Revolution, vor Mao, die Deutschen hier gewesen waren. Er erwähnte es ohne Ablehnung, ohne jeden Zorn. Im Gegenteil. «Sie haben uns viel Gutes hinterlassen» – das war auch ein Satz, den sie immer wieder hörte und über den sie sich wunderte. Doch sie war froh, nicht als Mitglied eines Aggressor-Staates betrachtet zu werden, und sagte das auch. «Nein», erwiderte der Taxifahrer. «Die Deutschen sind in Ordnung, sie haben sich entschuldigt. Anders als die Japaner. Sie wissen doch von dem Massaker in Nanjing ?»
Sie hatte davon gehört.
Sie begriff aber auch, dass vieles anders war, immer anders gewesen war und immer sein würde, jenseits dessen, was sie verstand. Ihr blieb nur, zu staunen und das Andere zu akzeptieren. Sie sah Schmutz und Schönheit, versuchte, sich mit der WC-Hygiene zu arrangieren, und gewöhnte es sich an, immer Toilettenpapier in der Tasche zu haben. Sie erfuhr von Arm und Reich, vom leergefischten Meer vor Qingdao, von den Problemen und Freuden der ganz Jungen und der ganz Alten. Durch Tang Zhirui lernte sie in diesem fremden Land, mit fremden Menschen zu lachen und es auf eine scheue Weise zu lieben. Mit Tang fühlte sie sich in dieser auf seltsame Weise vertrauten und doch so fremden Stadt nicht verloren.
Am Ende wusste sie, wie es war, wenn der eisige Nordostwind die Ohren rot blies und den Dunst vertrieb, der vom Meer aufstieg. Sie hatte erlebt, wie wunderschön der Blick von den Hügeln von Qingdao sein konnte: nach Osten über die Badebucht Nummer Eins und den Iltisberg bis zur Kette der Prinz-Heinrich-Berge in ihrem Mantel aus Nebel. Nach Nordosten über alte Gebäude und himmelstürmende Wolkenkratzer hinweg bis in den einstigen Stadtteil der Chinesen, nach heutiger Lesart Taidongzhen, von dort aus weiter Richtung Westen auf den Signalberg mit dem Haus des Gouverneurs und auf den Hügel mit der alten Wetterwarte. Noch ein Stück weiter, eine kleine Körperdrehung nach links, im Nordwesten, dann die Christuskirche, das einstige chinesische Händlerviertel Dabaodao und die zahlreichen neuen Hochhäuser, einige davon schon Bauruinen, bevor sie überhaupt fertiggestellt worden waren. Und schließlich wieder in Richtung Meer. Dort, wo die Küste sich nach Norden wandte, lag Taixizhen, das zweite Arbeiterviertel für die Chinesen, das die Deutschen damals eingerichtet hatten.
Gemeinsam erkletterten sie den Hügel im Rücken des mächtigen Gouvernementshauses, erbaut um 1906. Und sie verstummten bei der Aussicht aufs Meer hinaus, auf das kleine Inselchen mit dem Leuchtturm vor dem Badestrand Nummer sechs, das sie, wie seinerzeit ihr Großvater, Arkona-Insel nannte und das bei den Chinesen seit alter Zeit «Grüne Insel» hieß – qing dao. Nach diesem Felseneiland im Meer hatten die Einheimischen ein längst verschwundenes Dorf am Ufer benannt. Die Deutschen hatten den Namen dann für ihre Festung übernommen. «Tsintau-Fort», schrieben sie anfangs und waren später sehr stolz auf ihre «Musterkolonie Tsingtau». Tang lachte immer, wenn sie die deutschen Namen verwendete.
Zusammen schauten sie auf die Mole, an der die Deutschen im November 1897 vor Anker gegangen waren und an deren Ende inzwischen der Huilan-Pavillon stand, den vier Winden gewidmet. Sie erlebte eine Stadt, überspannt von diesem wunderbaren, fast immer blauen Winterhimmel, unter einer Sonne, die das Meer zum Glitzern brachte. Zu beiden Seiten der Mole bauten bei Ebbe Händler ihre Stände auf, ebenso wie auf der sauber gefegten Uferpromenade, dem ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Ufer. «Xiexie, wo bu xuyao», danke, ich brauche nichts. Und alles war, trotz des Trubels und der vielen Menschen, so friedlich.
Direkt gegenüber, am östlichen Ende der Uferstraße, hatte sich der Tianhou-Tempel erhalten. Auch dort war sie mit ihm gewesen. Sie hatte die zerklüftete Rinde des fünfhundert Jahre alten Ginkgo-Baumes in der Nähe der glückbringenden Glocke gestreichelt, dem
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