Die Konkubine
fuhren.
Kapitel 1
KONRAD GABRIEL BEOBACHTETE den Zug der örtlichen Würdenträger, während er seine Trompete wieder in ihrem Kasten verstaute. Vorneweg marschierte der deutsche Bezirksamtmann Dr. Erich Michelsen, neben ihm der chinesische Präfekt, gefolgt von seinem Diener, der ihm den Ehrenschirm hinterhertrug. Danach kamen die chinesischen Dorfältesten. Die Prozession war unterwegs zum Verwaltungsgebäude des Bezirkes Litsun.
«Jetzt haben wir wenigschtens Zeit für uns, bevor’s wieder losgeht», stellte Eugen Rathfelder fest, im zivilen Leben Uhrmachermeister aus Stuttgart, momentan die Tuba der Kapelle des III. Seebataillons Tsingtau.
«Wenigschtens?»
«Verschdoscht kein Schwäbisch, Bieble, was? Bischt halt ein Preuß. Also, i kann au anderscht: Es dauert noch, bis die Verhandlungen zu Ende geführt sind. Und danach wird es im Garten des Bezirksamtes von Litsun noch ein Theaterspiel geben, um die Gunst der himmlischen Mächte zu gewinnen. Bis dahin haben wir Zeit für uns. Komm, gange mr. S’gibt viel zu sehen.»
«Worum geht es denn überhaupt bei dieser ganzen Angelegenheit? Es scheint wichtig zu sein. Schließlich mussten wir ganze dreißig Kilometer von Tsingtau hierher marschieren, um für diesen Würdenträger zu spielen. Er ist wohl ein hohes Tier.»
Rathfelder zuckte die Schultern. «Woiß au net. Ach so, kein Schwäbisch. Also langsam für den Preußen. Ich weiß auch nicht. Ich habe gehört, der Bezirksamtmann will den Markttag nutzen, um eine heikle gerichtliche Angelegenheit zu klären. Weischt du eigentlich, dass schon seit mehr als zweitausend Jahren in dem alten Flussbett da Markt ischt? I hab g’hört, manchmal kommen bis zu zehntausend Leute aus der ganzen Gegend.»
«Und woher wissen die, wann Markttag ist?»
«I glaub’, die richten sich nach dem Mondkalender. Immer an Tagen mit Fünf ischt Markt.»
Konrad sah sich um. Gelber Sand bedeckte das ausgetrocknete Flussbett. Es wurde Obst feilgeboten. In Körben, die mit mehrfachen Lagen von geöltem Papier aus der Rinde des Maulbeerbaumes ausgelegt waren, lagen die Kirschen der ersten Ernte. Ein Bauer trieb drei quiekende schwarze Schweine vor sich her, vorbei an den Ständen mit Sojasprossen, Sesamöl, gerösteten Engerlingen, getrocknetem Fisch, Süßkartoffeln, allerlei getrockneten Pflanzen und Getreide in Tontiegeln. Nebenan brüllte ein Esel aus Leibeskräften und riss sich los. Der Eigentümer rannte zeternd hinterher, eine ganze Gruppe von Leuten schloss sich ihm an. Sie veranstalteten ein Höllenspektakel. Der unglückliche Besitzer des Esels versuchte, den Lärm zu übertönen und sein Tier zu rufen. Doch der Graue war nun vollends verschreckt, bockte und galoppierte in Richtung Dorfausgang. Dabei rannte er fast eine Bäuerin samt Stand um. Die Zöpfe der Verfolger flogen, die Bäuerin schimpfte und sammelte ihre Erdnüsse aus dem Dreck. Dazwischen erhoben die Hühner, die zum Verkauf standen, ein heftiges Gegacker.
«Du kennst dich schon gut aus», meinte Konrad anerkennend.
«Wie bitte? Es ischt so laut, ich versteh’ nix.»
«Ich sagte, du kennst dich gut aus», wiederholte er mit etwas erhobener Stimme.
Rathfelder lachte. «Hano, ich bin ja schon eine Weile hier. Ein Jahr ungefähr. Noch eins – und dann darf i hoim.»
Konrad erwiderte nichts. Er war jetzt ein halbes Jahr in China, hatte versucht, sich einzufinden, sogar Chinesischunterricht genommen. Aber auch er hatte das Gefühl des Verlorenseins kennengelernt, das hier früher oder später offenbar jeden einholte.
«Es ischt schon schad’, dass du wieder nach Tientsin muscht, Gabriel. Bischt ein guter Trompeter.»
Der so Gelobte zog ein zweifelndes Gesicht. «Ich bin nur für die nächsten Tage hierher abgeordnet. Wie es scheint, habt ihr einige Kranke in der Kapelle.»
Rathfelder grinste. «Kranke, ja, so kann mr’s auch nennen. Jedenfalls könnet sie nemme gut marschieren, vom Blasen will i garnet reden. Die sind auf Quecksilber-Kur. Die Therapie von derra beschtimmte Krankheit ischt ziemlich oahgnehm, ähm, unangenehm. Und unsere Ärzte sind net zimperlich mit solchen Patienten. Die waret wohl zu oft im Roten Haus oder bei de Mädle.»
«Im Roten Haus?»
«Ja, das ischt eines der besseren Bordelle im Chinesenviertel Tapautau, gleich bei der Ziegelei. Bloß, dass du’s weisch: Mir hond fünf legale Etablissements, zwei unter chinesischer, zwei unter japanischer Leitung und eines unter deutscher. Am billigschten sind die Illegalen. Doch da
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