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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Vergehen der Zeit nachgespürt, versucht herauszufinden, ob die Tage von damals an diesem Ort noch nachschwangen. Einst hatte dieser männliche Baum eine weibliche Gefährtin gehabt. Doch nun stand er allein, ein knorriger Riese mit einer breiten roten Schärpe und aufgedruckten goldenen Schriftzeichen, die Glück verhießen.
    Sie hatten vom Haisense Tower im neuen Qingdao im Osten über den Park der Melodien und das lila gestrichene Vienna-Hotel hinweg die Anlage bestaunt, die für die Segelolympiade 2008 ins Meer gebaut worden war.
    An anderen Tagen, wenn Tang arbeitete oder daheim bei seiner Familie war, manchmal auch morgens, bevor er kam, war sie durch die Kasernengebäude auf dem Gelände der Haiyang Daxue gestreift. Im hintersten hatte anfangs ihr Großvater gelebt. Eigentlich waren die Gebäude nicht mehr öffentlich zugänglich, doch sie fand immer eine offene Tür. Sie konnte das Echo von Männerstimmen nachhallen hören, gebrüllte Befehle, das Quietschen der Rollen, mittels derer die abschließbaren Türen der Gewehrschränke vor den Zimmern beiseite geschoben worden waren. Die Fenster, die Türen – alles war wie damals. Nur die offene Galerie hatte man zugebaut. Die Unterkünfte der Soldaten im deutschen Schutzgebiet waren vergleichsweise fürstlich gewesen – es gab sogar einen eigenen Sanitärbereich. So luxuriös, dass Berlin mehr Sparsamkeit beim Bau der weiteren Kasernen angemahnt hatte. Beim Gedanken daran musste sie schmunzeln. Inzwischen waren die Gänge leer, die Büros geräumt. Auch die Dozenten und Studierenden der Meereskunde hatten das Gelände verlassen. Sie waren in Neubauten außerhalb der Stadt umgezogen.
    Sie bummelte über den alten Campus, der an manchen Ecken an einen stillen Park erinnerte, vorbei an sauber gekappten Hecken, sorgsam gepflegten Baumstämmen, an dem qualmenden Schlot des vorsintflutlichen Kohleheizkraftwerkes und an kleinen Läden, die alles feilboten, was Studenten so brauchten. Sie ging die Allee entlang unter den hundertjährigen Platanen hindurch, die einst von den Deutschen gepflanzt worden waren, vorbei an den Büsten bekannter Persönlichkeiten. Oder sie beobachtete, wie die Studenten auf dem Platz Sport trieben, auf dem einst exerziert worden war. Er hatte jetzt eine Aschenbahn und Tore auf den Schmalseiten des Rasens. Trotzdem schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Sie erwartete, dass jeden Moment der Gouverneur auf der Veranda seiner Villa am Berg auftauchte und sein Fernglas zückte, um die Sportler zu beobachten – wie vor 100 Jahren die Soldaten.
    Am nächsten Tag dann oder am übernächsten hatte Tang sie in Gassen geführt, in denen Konrad Gabriel ebenfalls gewesen sein musste und die ihr unverändert erschienen, vorbei an den Häusern der europäischen Handwerker. Sie waren in der zweiten Reihe gebaut worden, nicht direkt am Meer wie die Villen der Reichen. Auch in diesem fremden Land waren die Klassenunterschiede erhalten geblieben.
    Nach einer Weile konnte sie Haferflocken-Packungen identifizieren und die Milch- von den Essigtüten unterscheiden. Von da an gab es morgens Müsli mit Obst. Auch sie schuf sich so ein Stück Heimat. Sie hatte erkundet, wo es guten Tee gab, und kannte die großen Kaufpaläste mit fast schon westlichen Preisen an der Zhongshan Lu.
    Sie war mit Tang in Museen gewesen, die die alte Zeit konservierten, und in einem Luxushotel nach europäischem Standard mit drehbarem Dachrestaurant, gebaut an der einstigen Auguste-Viktoria-Bucht, inzwischen der Badestrand Nummer Eins. Sie fand sich auf den Märkten zurecht, auf denen die Einheimischen einkauften, und hatte nach einer Weile ihren Lieblingsbonbonstand entdeckt sowie ihre bevorzugte Gemüse- und Obsthändlerin. Bei ihr erstand sie Erdnüsse, Äpfel, Erdbeeren, Bananen, Mandarinen sowie Rettiche und Zwiebeln. Nebenan gab es getrockneten Fisch. Sie bestaunte Berge von Austern auf einer Bodenplane, direkt neben Fleischstücken, Reisigbesen, Kleidern, Nähzeug und Nagelfeilen. Sie bediente sich begeistert aus den Kaishui-Automaten, die überall in den Gebäuden herumstanden und sogar im Flughafen kostenlos heißes Wasser für die Instant-Nudeln und die Teeblätter in der Thermoskanne lieferten. Sie war stinkenden Pfützen, Fischinnereien auf dem zerklüfteten Pflaster des Gehweges und Abfallbergen in Innenhöfen ausgewichen, hatte viele Stunden auf das Meer geschaut, auf das Flüstern der Bäume gehört, Steine nach ihrer Geschichte gefragt. Und sie wusste, wohin die Busse

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