Die Kornmuhme (German Edition)
Haus! Etwa hundert Meter war sie nur noch davon entfernt. Mit einem
unterdrückten Aufschrei blieb sie abrupt stehen.
Anscheinend war sie im Kreis
gelaufen. Doch wie konnte das sein? Sie hatte sich – die meiste Zeit zumindest
- am Stand des Mondes orientiert und an den Sternen. Reinulf hatte ihr das
einst beigebracht. Sie war doch ganz sicher immer in dieselbe Richtung
gelaufen! Die Türe des kleinen Hauses öffnete sich, und sie sah, wie eine
gebückte Gestalt aus dem Haus heraustrat und sich eilig, mit ungelenken
Bewegungen, direkt auf sie zu schleppte. Es gab keinen Zweifel. Auch wenn Ranja
am Waldrand hinter einem Busch versteckt stand, die Gestalt hielt geradewegs
auf sie zu.
Als sie näher kam, sah Ranja, dass
es Ida war. Im Mondlicht sahen die Flecken auf Idas Kleid aus wie schwarze
Tinte, doch Ranja wusste sofort, dass es Blut sein musste. Ida war schwer
verletzt, oder war es Maras Blut, was sie da sah? Die Magd war nun so nahe,
dass sie Ranjas Schatten erkannte.
>>Ranja! <<, keuchte
sie.
Ranja konnte ihren Anblick nicht
ertragen. Sie rannte in den Wald hinein, und hörte Idas Rufe noch lange hinter
sich.
49
Aron war kurz eingenickt. Sein
Körper hatte sich einfach geholt, was er gebraucht hatte. Als er aufwachte schalt
er sich für seine Unvorsichtigkeit. Er erhob sich mit einem Pochen in der
Schläfe aus dem taunassen Gras und blickte zum Berg hinauf, und zu dem steilen
Pfad, den es nun zu besteigen galt. Der Mond tauchte alles in ein friedliches
Blau und ließ ihn die Landschaft rings um sich herum gut erkennen. Allerdings
barg das helle Licht auch den Nachteil, dass er für einen Verfolger bis weit
ins Land hinein sichtbar sein würde, sobald er mit dem Aufstieg begann.
Er entschied, sich in das dem Pfad
nahegelegene Unterholz zu schlagen, um dort im Schutz der Bäume und Sträucher
den Aufstieg zu beginnen. Das würde ihn sicherlich Zeit kosten, war aber
sicherer. Tatsächlich waren die scharfen Augen eines Zwergen geradezu
vorzüglich an die Dunkelheit angepasst, und so dauerte es nicht lange, bis der
von Hoxberg herunter reitende Sonnwin, den im Schutz der Bäume hinauflaufenden
Aron erspähen konnte.
Noch war Sonnwin jedoch weit
entfernt. Er würde eine ganze Weile brauchen, bis er ihn erreicht hatte, egal
wie schnell er ritt. Aber wenn er richtig lag, würde sich das Feld der Muhme
auf der Hügelspitze befinden, und das würde Aron zu Fuß sehr viel Zeit kosten.
Stunden vergingen. Sonnwin kam Aron näher und näher, ohne dass dieser es ahnte.
Bald sah Aron die Kuppe und lief
das letzte Stück des Hügels hinauf. Noch sah alles normal aus, und er gab einen
enttäuschten Laut von sich, als er oben angekommen nichts Besonderes entdeckte.
Er lief weiter auf dem sich weit erstreckenden Bergplateau. Der Morgen
dämmerte. Die Landschaft begann sich mit jeder Meile die er ging, weiter zu
verändern.
Bald erstarb der Geruch der Wiesen
und graue Asche wehte zu ihm herüber. Die Landschaft unter seinen Füßen
verwandelte sich nun mit jedem Schritt. Das Gras zerfiel immer öfter zu einem
grauen Pulver. Er durchschritt nun eine wüstenartige Einöde und hielt immer
wieder Ausschau, ob er das Feld irgendwo erspähen konnte. Die Muhme schien ein
gigantisch großes Stück Land verbrannt zu haben. Der Legende nach lag ihr Feld
genau in der Mitte dieser toten Einöde, doch er konnte es nirgends entdecken.
Fast fürchtete er, dass sie vielleicht schon wieder weitergezogen sein könnte,
da gewahrte er in der Morgendämmerung am Horizont ein hellgelbes Leuchten. Das
Kornfeld, da war es!
Er beschleunigte seinen Schritt, und
je näher er kam und je höher die aufgehende Sonne kletterte, desto mehr schien
das Feld wie in Flammen zu stehen.
Hinter ihm in der Ferne erhob
sich, von Aron unbemerkt, eine Staubwolke, die das baldige Eintreffen Sonnwins
ankündigte. Der Zwerg holte auf, ritt mit wilder Entschlossenheit, und mit der
brennenden Fackel in der hoch erhobenen Rechten in die graue Steppe hinein.
Je näher Aron dem Feld kam, desto
mehr sah es so aus, als würde es an Größe noch zunehmen, wuchs förmlich vor
seinen Augen gigantisch an.
Er wurde langsamer, bis er mit
pochendem Herzen den Rand des Feldes erreichte. Da war er nun, nach all den
Tagen, nach all den Entbehrungen und Gefahren. Bis hierhin hatten ihn seine
Füße getragen.
Er hatte es sich nicht so groß
vorgestellt. Soweit das Auge reichte, wogten leuchtendgelbe Ähren in der
aufgehenden Sonne sachte im Wind. Er fühlte sich
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