Die Kornmuhme (German Edition)
hörte er tatsächlich ihre
liebliche Stimme zu ihm herübersäuseln:
>>Ach, kleiner Menschensohn.
Schön dich hier zu sehen an diesem öden Ort. Komm hier hinein, hier bist du
sicher. <<
Ein wohliges Gefühl umfing ihn,
und kaum noch hörte er die leise Stimme seines Bewusstseins, die versuchte, ihn
mit warnenden Worten davon abzuhalten, weiterzukriechen. Bald war er so weit in
das Feld hineingekrochen, dass er auch weitere Blumen entdeckte. Sie alle
leuchteten in einem wunderbaren Blau, und eine jede einzelne wisperte und
tuschelte ihm leise zu. Ihre Stimmen umnebelten seinen Geist, und nur am Rande
bemerkte er, dass er Mühe hatte, noch einen klaren Gedanken zu fassen.
Gleichzeitig umfing ihn eine wohlige Gleichgültigkeit. Die Strapazen der
letzten Wochen fielen von ihm ab, und er wollte bis in alle Ewigkeiten nur so
dahocken und den Klang ihrer lieblichen Stimmen hören.
>>Was suchst du hier, mein
Sohn? <<, kicherte eine ihm zu.
>>Ich suche…<<,
begann er und verstummte dann. Er wusste es nicht mehr.
>>Ich suche…<<, begann
er noch einmal, konnte den Satz jedoch abermals nicht vervollständigen. Die Blumen
kicherten wieder.
Eine Hitzewelle fegte durch das
Feld und schlug Aron plötzlich schmerzhaft ins Gesicht. Es riss ihn aus seiner
Trance, und er kam wankend auf die Beine. Als er sich aufrichtete und den Kopf
aus dem Feld hob, sah er nicht weit von sich entfernt eine riesenhafte,
schwarze Gestalt mit ausgebreiteten Armen auf ihn zueilen.
Sie war von einer Schwärze, die
Aron noch nie gesehen hatte, und Dunkelheit umfloss ihren Körper, wie ein
Gewand aus Finsternis. Sie schien sogar das Licht der aufgehenden Sonne zu
verschlingen, und vor sich her schob sie eine alles verzehrende Hitze.
Er schrie vor Entsetzen. Es war
ihm, als würde die Nacht selbst auf ihn zueilen.
Sieh, da schreitet riesenmächtig
Schwarz wie Nacht zum Himmel
ragend,
Schwarz vom dunklen Hemd umflossen
Ein gespenstisch Weib im Korne (1)
Aron erschrak fast zu Tode,
richtete sich auf und verlor sofort wieder an Gleichgewicht. Taumelnd stolperte
er rückwärts, krabbelte hastig auf allen Vieren und suchte den kürzesten Weg
aus dem Feld heraus.
Die schwarze Hünin jedoch war
unfassbar schnell. Sie tastete über die Ähren, als würden sie ihr Informationen
über seinen Standort geben. Dann plötzlich machte sie einen gespenstisch
schnellen Satz auf Aron zu. Mit einem Schrei stieß er sich rücklings ab und
schlug einen Haken, so dass er nur um Haaresbreite ihrer todbringenden,
brennend heißen Umarmung ausweichen konnte. Er schrie vor Angst und Schmerz,
als seine Haut versengte.
Ein grauenerregendes Zischen
entwich der Muhme, und Aron hatte das Gefühl, ihren unbändigen Hass fast
körperlich spüren zu können. Sie schien tatsächlich nichts zu sehen. Wenn er
stehenblieb, drehte sie sich suchend um, horchte in alle Richtungen. Gerade war
er an einer Stelle gelandet, an der nicht sehr viele Halme standen – eine kahle
Stelle im Feld. Die Ähren tasteten jedoch nach ihm wie suchende Spinnenfinger,
und sobald sie seine Beine erfühlten, drehte sich die Muhme abrupt in seine
Richtung und stierte zu ihm herüber.
Von ferne sah er Sonnwin in der
Steppe auf dem nassgeschwitzten Tier heranreiten. Aron schrie und winkte, doch
der Zwerg hatte ihn schon längst ausgemacht. Er kam mit der Fackel in seinen
Händen herangestürmt und schrie immer wieder Arons Namen. Dieser rannte vor
Angst schreiend Sonnwin entgegen. Die Ähren schlugen wie lebendige Peitschen um
seine Beine und schienen in seinem Lauf nach ihm zu greifen. Als Aron und
Sonnwin nur noch wenige Meter voneinander entfernt waren, streckte er dem Zwerg
beide Hände entgegen.
>>Wirf es, wirf es! <<
schrie er aus voller Kehle, und Sonnwin reagierte sofort. Er schleuderte die
Fackel mit dem ewigen Feuer in Arons Richtung. Dieser sprang in die Höhe,
öffnete die Arme, und … verfehlte sie.
In derselben Sekunde erhob sich
riesenhaft und mit ausgebreiteten Armen die Muhme hinter ihm, um ihn in einer
todbringenden Umarmung zu umfangen. Die Feuerkugel war jedoch das Einzige, was
sie zu fassen bekam, und noch bevor das Ewige Feuer die dunkle Mutter
erreichte, begriff Sonnwin, was er getan hatte. Er jaulte entsetzt auf. Wie im
Schock ritt er einfach weiter, geradewegs in das Feld hinein, so als könnte er
rückgängig machen, dass er es war, der das Feld nun in Brand setzte.
Doch es war zu spät. Auf dem
Körper der Muhme zerbarst die Kugel in einer unfassbar hellen Explosion
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