Die Kornmuhme (German Edition)
Einzelteile der Schnüre wieder zusammen, so dass
sich ein langes Stück ergab. Er holte die Kugel und befestigte sie leise
stöhnend, und mit zusammengebissenen Zähnen am Ende des Stocks, so dass er sie
wie eine Fackel tragen konnte.
Er war erleichtert, als er es
endlich geschafft hatte, und hielt sie nun hoch. Ab und zu versuchte die Flamme
noch den Ast hinunter zu klettern, um Sonnwins Hand zu erreichen, aber der
Abstand betrug etwa eine Elle, so dass er geschützt vor ihr war. Nun machte er
sich auf den Weg, über die Leiber der Menschen, die blaue Flamme hoch über
seinen Kopf haltend. Er kannte Arons Ziel. Er wusste, in welche Richtung er
gehen musste, um den Weg zu finden, der zum Feld der Muhme führte. Er würde
diesen verfluchten Bastard finden und ihm die Flamme bringen. Er betete inbrünstig
zu den Ahnen, dass er Aron erreichte, bevor dieser am Feld angelangt war.
Leider hatte er sehr viel Zeit verloren.
Als er aus der Stadt heraus kam
und ebenfalls die Hänge hinunter lief, war ihm schnell klar, dass er Aron zu
Fuß nie würde einholen können. Er beschwor die nackte Erde, dass sie ihm ein
Reh schicken möge, doch das war nicht mehr so einfach. Die Flammen hatten einen
Großteil seiner Kräfte aufgezehrt. Er holte das Medaillon hervor, presste es an
seine Brust und begann von neuem in der alten Sprache den Boden zu beschwören.
Es dauerte lange bis die Magie
wirkte, und ein Reh vorsichtig aus dem Dickicht trat. Sonnwin kämpfte eine
geraume Zeit mit dem Geist des Tieres, bis er es schließlich bezwang. Es war
niederschmetternd. Er hatte einen Großteil seiner Kräfte eingebüßt, und ohne
das Medaillon wäre es ihm wahrscheinlich gar nicht gelungen, ein Reh herbei zu
rufen. Er schwang sich auf den Rücken des Tieres und ritt in die Nacht.
48
Ranja lief schon zahllose Stunden.
Die Nacht schien kein Ende zu nehmen. Sie hatte sich hoffnungslos verlaufen und
weinte bitterlich, während sie sich an den dornigen Ästen die Beine aufriss,
oder über das verschlungene Wurzelwerk am Boden stürzte. Die Wolkendecke über
ihr riss nun ein wenig auf.
Es hatte sich zugezogen in der
letzten Stunde, aber nun hatte sie wenigstens wieder ein wenig Mondlicht. Lange
bevor sie das Dröhnen und Rauschen des zurückkehrenden Geisterzugs vernahm,
bemerkte sie, dass es mit dem Gehen wieder schlechter wurde. Gryla war auf dem
Rückweg, das spürte sie von Minute zu Minute deutlicher. Bald hörte sie von
Ferne das Rauschen. Sie versuchte wieder, sich Arons Bild vor Augen zu holen,
aber es wollte ihr nicht mehr so recht gelingen. Sie hatte ihn schon zu lange
nicht mehr gesehen, und ihre Trauer und ihre Angst störten ihren Geist. Sie
versuchte sich vergebens, an seinen Geruch zu erinnern, doch es gelang ihr
nicht. Das faulige Wasser, das sich auf dem schlammigen Waldboden sammelte,
verströmte einen übelriechenden Gestank, der sie an nichts anderes denken ließ.
Der Wind nahm zu, und es knarzte
beunruhigend in den Baumwipfeln über ihr. Noch nie war sie draußen gewesen,
wenn der Zug der Geister über Urmitz hinweg gedonnert war – noch dazu im
Raunewald! Heute Abend würde sich alles entscheiden. Ida hatte schon Recht.
Lieber wollte sie hier sterben als weiter so bei Gryla leben zu müssen.
Es war grauenvoll. Die reisenden
Geister hörten sich an, als würde ein Riese seinen Schlund aufreißen,
durchsetzt von dem vielstimmigen Chor tausender, mitgerissener Seelen. Diesmal
spürte sie den Sog der Neugier an sich zerren. Aber sie wehrte sich mit aller
Kraft dagegen. Sie warf sich auf den Boden und presste ihren Kopf so fest
zwischen die Hände, dass sie fast glaubte, ihn zu zerdrücken. Der hämmernde
Schmerz, den sie sich selbst zufügte, und das blasse Bild Arons vor ihrem
inneren Auge, halfen ihr, dem Sog zu wiederstehen.
Und als der Zug an Urmitz
vorübergezogen war, lag sie noch eine Weile im stinkenden Schlamm. Nun wartete
sie darauf, dass sich der Griff der Hexe wieder vollkommen um sie legen würde,
doch das Gegenteil geschah. Plötzlich löste sich der klamme Griff um ihr Herz,
und es fiel mit einem Schlag jede Schwere von ihr ab. Was war das? Hatte Ida es
geschafft? Warum jetzt erst, wo Gryla wieder da war? Sie stand auf und taumelte
in die Richtung, in der sie im Unterholz glaubte ein Licht zu erkennen.
Der Wald lichtete sich, und ihr
Herz hüpfte. Fast war sie sich sicher, aus dem Raunewald herausgefunden zu
haben. Als sie jedoch näher kam, durchfuhr sie ein jäher Schrecken. Da stand
Maras
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