Die Kornmuhme (German Edition)
tippelte langsam zu
Ranja herüber, die wie vom Donner gerührt mit einer Zwiebel in der Hand vor dem
Regal stand.
>>Oh, da hast du ja schon
eine! <<, sagte sie freudig, und nahm sie ihr aus der Hand. Ihre Augen
waren zu trüb, um Ranjas entsetzten Gesichtsausdruck zu registrieren.
Stattdessen plapperte sie weiter vor sich hin, dass sie ständig etwas vergaß,
und dass es ein elendiges Kreuz sei, so alt zu werden.
>>Ja, ja, die alten Weiber
sollten alle verbrannt werden<<, seufzte sie. >>Zu nichts mehr
nütze!<<
Ranja bemühte sich, in ihr
neckisches Lachen einzustimmen, aber so richtig wollte es ihr nicht gelingen.
Mara drehte sich um, als sie Ranjas bemühtes Lachen hörte und blickte sie
traurig an.
>>Kind, ich weiß, in dir ist
es dunkel. Lass deinen Gefühlen doch freien Lauf, du darfst auch weinen, wenn
dir danach ist. Willst du wirklich nicht über sie reden? <<
>>Danke liebe Ähnl<<,
antwortete Ranja, >>wenn ich so weit bin, werde ich dein Angebot gerne
annehmen. <<
Plötzlich tat es ihr leid, dass
sie vor der Alten manchmal Angst hatte. Dieses Haus ließ sie schon nach
wenigen Tagen den Verstand verlieren. Wie musste es gewesen sein, ein ganzes
Leben in diesem Haus, so nah am Waldrand, verbracht zu haben. Trotzdem war ihre
Tante nie böse geworden, nie hatte ein schlechtes Wort ihre Lippen verlassen,
und sie hatte ihrer Familie in Notzeiten immer so viel geholfen, wie sie nur
konnte.
>>Hast du eigentlich nie
vorgehabt, mal hier wegzuziehen? <<, fragte Ranja. >>Weiter ins
Dorf hinein! Vater hätte dir sicherlich dabei geholfen. <<
>>Ach, weißt du meine
Kleine, die Häuser kauern sich wie ein Haufen ängstlicher Schafe in Urmitz
Mitte zusammen, um möglichst weit weg vom Waldrand zu sein. Und? Hat es ihnen
etwas gebracht? <<
Sie ging auf Ranja zu und fasste
ihre Hände.
>>Schau, wer über die Jahre
schon alles der Grausigen zum Opfer gefallen ist. Ich bin es nicht gewesen,
obwohl ich hier wohne! Und im Dorf, da muss ich den dicken Schmierlapp
ertragen, und dessen Frau, das widerliche Tratschweib. <<
Ranja wusste, wen sie meinte.
Ansgar und seine Frau waren auf Mara nicht gut zu sprechen. Sie hatte nie
verstanden warum. Vielleicht war es Neid. Vielleicht waren sie irgendwie
verärgert, dass sie nicht die einzigen Urmitzer waren, mit denen es das
Schicksal gut gemeint hatte. Maras Bruder und seine Frau – Ranjas Großeltern -
waren vor vielen Jahren an einer Krankheit gestorben und hatten ihr den
gesamten Hof vermacht. Mara war immer alleine gewesen, aber sie hatte die
Arbeit gut geschafft, und sich mit der Viehzucht ein beachtliches Vermögen bei
Seite legen können.
>>Aber ganz so leicht nimmst
du es auch nicht…<<, sagte Ranja. >>Zum Beispiel das Zimmer, das in
Richtung Wald zeigt…was ist damit? Warum darf ich es nicht betreten? <<
Mara stockte in ihren Bewegungen
und hielt lange inne, bevor sie sich umdrehte und antwortete.
>>Weißt du mein Kind, wenn
du dich mit einem wilden Tier befreunden wolltest, müsstest du dir immer einen
gewissen Respekt vor ihm bewahren, sonst frisst es dich eines Tages.<<
Sie drehte sich zu ihr um und
guckte sie ernsthaft an.
>>Und das rate ich dir
auch!<<
Ranja konnte den Blick nicht
deuten, den ihre Tante aufsetzte. Er war sehr eindringlich und schien sowohl als
Warnung als auch als Drohung gemeint zu sein. Dann lächelte Mara wieder und die
Warmherzigkeit kehrte rasch in ihr Gesicht zurück.
>>Sag mal, wo ist eigentlich
Aron?<<, fragte sie beiläufig, als sie nun den Braten in den vorgeheizten
Holzofen schob.
>>Er könnte doch für dich
sorgen. Schließlich bin ich eine alte Frau und irgendwann nicht mehr da, um
dies zu tun. Natürlich bekommst du den Hof und alles was dazu gehört, aber du
solltest einen Mann an deiner Seite haben. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede…<<
>>Ach…<<, sagte
Ranja, und versuchte sich daran zu erinnern, was sie sich zurechtgelegt hatte,
wenn diese Frage kam. Sie hatte es vergessen.
>>Er … muss was
erledigen<<, sagte sie zögerlich.
>>Was erledigen?<<,
fragte die Tante skeptisch. >> Ist er denn nicht bei Ansgar?<<
>>Doch, doch<<, sagte
Ranja. Allerdings entging ihr nicht, dass die Tante sie prüfend anblickte. Mara
ließ es aber auf sich beruhen. Sie wollte das Kind nicht weiter bedrängen.
24
Immer lichter wurde der Wald, und
Aron hörte erste Vögel zwitschern. Nicht die, die ihn begleiteten, sondern
fremde Vögel, unbeschwerte. Ihre Lieder drangen bis zu ihm in den düsteren Wald
hinein und
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