Die Kornmuhme (German Edition)
verhießen ihm die kommende Grenze von Grylas Reich. Nicht nur das
Blätterdach über ihm begann aufzureißen, sondern auch der Himmel. Selbst die
Wolken schienen sich an diese unsichtbare Grenze zu halten.
Sein Herz sprang ihm in der Brust
vor Freude, und er begann zu rennen. Jeder Sonnenstrahl, der sein Gesicht
berührte, füllte ihn mit beglückender Zuversicht. Kurz bevor er den Waldrand
erreichte, mahnte er sich jedoch zur Vorsicht. Er blieb stehen. Vor ihm lag
eine wunderschöne Wiese. Dies war der Flüsternde Grund, und tatsächlich glaubte
er im Rauschen der Gräser hier und da ein Flüstern zu hören, oder ein Kichern,
so als würden Elfen heimliche Spiele zwischen den Halmen treiben.
Der Anblick war so ergreifend,
dass er lange nur so dastand und andächtig die sonnenbeschienene Graslandschaft
vor sich betrachtete. Nur noch wenige Schritte hätte er tun müssen, um über die
Grasnarbe in die Freiheit zu treten. Doch er dachte an den toten Kaufmann, und
dass er es dem Schicksal nicht zu einfach machen wollte, und für so eine dumme
Unbedachtheit zu sterben.
>>Alter vom Flüsternden
Grund, lass mich herein...<< sagte er halblaut und wartete.
Zagel schien Aron schon erwartet
zu haben, denn in der Sekunde, als er die letzte Silbe aussprach, erhob sich
ein Brausen und Rauschen, das durch die Blätter über seinem Kopf fegte. Ein
heftiger Wind flog heran, der das Gras der Wiese auf und nieder drückte, so
dass es aussah, als würde ein gigantischer, unsichtbarer Riese auf ihn
zugestürmt kommen.
Das Brausen wurde heftiger, und
das Konzert der Vögel wurde plötzlich warnender und aufgeregter. Aron atmete
scharf ein, beschloss jedoch, sich von Zagel nicht einschüchtern zu lassen. Er
hatte eine Verabredung mit ihm und er würde einen Wettstreit mit ihm austragen.
Wieso sollte er also Angst vor ihm haben? Zagel würde zu seinem Wort stehen.
Plötzlich, so schnell wie der Wind
angeschwollen war, so abrupt ebbte er nun wieder ab. In derselben Sekunde
verstummten die Vögel, und Aron kam es vor, als würden der Wald und die Tiere,
ja sogar die Steine und der Boden unter seinen Füßen ehrfürchtig den Atem
anhalten.
Dann begann etwas unmittelbar vor
ihm zu erscheinen, so als materialisierte sich etwas aus dem Nichts heraus.
Erst erschien es Aron wie ein Schleier oder ein Nebel. Dann begann er Umrisse
einer riesenhaften Gestalt zu erkennen. Er bekam es nun doch mit der Angst zu
tun, und als der Waldgeist bald in seiner vollen Größe vor ihm stand, verschlug
es Aron die Sprache. Zagel blickte den Jungen unter seinen buschigen
Augenbrauen heraus mit stechendem Blick an, tat einige dröhnende Schritte auf
ihn zu und beugte sich ein Stück weit zu ihm herab. Dann sprach er mit
rollender Stimme:
>> Tritt nur ein, du kleiner
Wurm. <<
Ein Lachen donnerte auf Aron
herab.
Erhobenen Hauptes und festen
Schrittes übertrat er die Grenze zur Zagels Reich, und indem er das tat, hatte
er das Gefühl, dass er eine gläserne Wand durchschritt. Etwas verwirrt drehte
er sich um und sah verwundert die Bäume des Raunewaldes an. Sie bewegten sich
immer noch im Wind, doch er konnte ihr Rauschen nun nicht mehr hören, so als
wären sie unter einer Glasglocke gefangen, die jeden Laut verschluckte. Der
Waldgeist konnte seine wilde Freude über den Besuch des kleinen, tapferen
Mannes nicht verhehlen und trat unruhig von einem Bein aufs andere.
>> So, einen Wettkampf
möchtest du austragen. Forderst mich heraus… mutig, mutig <<, grinste er
und machte eine Pause, um seine letzten Worte zu unterstreichen.
>> Gerade mich, den König
der Wälder forderst du heraus! <<, sagte er noch einmal, als Aron nicht
angemessen reagierte.
Aron blieb besonnen. Er erinnerte
sich an die Geschichten, die man sich über Zagel erzählte. Dieser war
selbstgefällig und eitel. Er mochte es, wenn man ihm Honig um den Bart
schmierte, und genau dies tat Aron jetzt auch.
>> Gerade weil du der
Mächtigste weit und breit bist, habe ich dich ausgewählt. Mein Anliegen ist kein
leichtes. Wenn du gewinnst, dann gehöre ich ganz dir. Wenn ich aber gewinne,
ist mein Anliegen, dass du mir einen Weg zeigst, wie Urmitz von der Gryla
befreit werden kann. <<
Der Waldgott hob die Augenbrauen
und starrte Aron mit einem Blick an, den er nicht deuten konnte. Vielleicht war
es Überraschung, vielleicht aber auch Entsetzen.
>> Willst du denn keine
Reichtümer? <<, fragte Zagel verwundert und kratzte sich in seinem großen
Bart, so dass Aron es rascheln hören konnte. Ein
Weitere Kostenlose Bücher