Die Kraft der Mitfuehlenden Kommunikation
»Innerer Dialog« ist sogar ein anerkannter neurologischer Begriff. Dieses Phänomen kann zum Problem werden, wenn wir unserem Gesprächspartner zuhören möchten.
Die innere Stimme des Bewusstseins
Der innere Dialog läuft fast ununterbrochen, solange man wach ist. Er formuliert unser inneres Erleben der Welt in unserem Umfeld, 33 und Forscher der University of Toronto haben herausgefunden, dass »die innere Stimme unsere Selbstkontrolle verstärkt, indem sie unsere Fähigkeit der Impulskontrolle erhöht«. 34 Höhere Frequenz des inneren Dialogs korreliert oft mit niedrigerer psychischer Niedergeschlagenheit. 35
Der berühmte Schweizer Psychologe und Pädagoge Jean Piaget erkannte 1926, dass viele Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren anfangen, Selbstgespräche zu führen. Wenn ein Kind zum Beispiel ein Haus aus Bauklötzen baut, verbalisiert es diese Handlung oft: »Jetzt setze ich den roten Bauklotz auf den blauen.« Wenn es fertig ist, sagt es dann vielleicht »Jetzt fällt alles um« – und bringt das Bauklötzchengebilde zum Einsturz.
Piaget nannte dieses Verhalten »egozentrisches Sprechen«, und es zeigt, wie Sprache anfängt, unser tägliches Leben zu beherrschen. Wir setzen den inneren Dialog ein, um bewusste Entscheidungen zu treffen und unsere Gedanken so zu formen, dass sie der Kommunikation dienlich sind, und außerdem, um vorher einzuüben, was wir sagen möchten.
Der innere Dialog setzt in den ersten Lebensjahren ein und dauert das ganze Leben über an. 36 Er scheint in der linken Hirnhälfte beheimatet zu sein – in der abstrakte Sprachverarbeitung stattfindet – und spielt eine spezifische Rolle in der Orientierung unter anderen Menschen. 37 Außerdem ist er wichtig für unsere Selbsteinschätzung. 38
Wenn Sie genau auf Ihren inneren Dialog achten, werden Sie feststellen, dass jedem emotionalen Zustand – Ärger, Furcht, Niedergeschlagenheit, Freude, Zufriedenheit und so weiter – eine eigene Stimme und ein eigener Mitteilungsstil entsprechen. Wenn Sie jetzt finden, dass sich das nach gespaltener Persönlichkeit anhört, dann sind Sie der Wahrheit gar nicht so fern, weil wir alle Dutzende Unterpersönlichkeiten haben, die alle ein eigenes Temperament haben. Normalerweise verschmelzen diese inneren Stimmen zu einem gewissen Grad miteinander und lassen sich kaum voneinander unterscheiden, aber durch ein schweres Trauma können sie voneinander getrennt werden und daraufhin autonom agieren.
Obwohl wir uns dessen vielleicht nicht immer bewusst sind, kommentieren verschiedene innere Stimmen ständig unser Verhalten. Selbstkritik ist ein perfektes Beispiel dafür: Ein Teil von uns erledigt eine Aufgabe, und ein anderer kommentiert: »Das ist nicht gut genug. Der Chef wird meckern.« Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass unsere verschiedenen Persönlichkeiten miteinander debattieren. Wir sehen ein Kleidungsstück im Schaufenster und wollen es haben, aber dann setzen die Stimmen ein: »Das kannst du dir nicht leisten!«, »Aber es steht mir so gut!« – und so weiter.
Jede dieser inneren Stimmen wirkt anders auf das Gehirn. Eine selbstkritische Stimme stimuliert die Fehlerfindungsschaltkreise, eine selbstgewisse dagegen die neuronalen Schaltkreise für Mitgefühl und Empathie. 39
Negativer innerer Dialog kann besonders schädlich sein. Anorexiker haben zum Beispiel oft besonders ausgeprägte und kritische innere Stimmen. 40 Sie helfen ihnen bei der Unterdrückung des Drangs zu essen, aber die negativen inneren Stimmen greifen kontinuierlich ihr Selbstvertrauen an, sodass die Ablehnung des Essens sich schließlich ins Lebensbedrohliche steigert. Wenn ein Anorexiker lernt, nicht mehr auf diese zerstörerischen Stimmen zu hören, verbessert sich auch sein Essverhalten.
Workaholics geht es ähnlich. Wie viel sie auch leisten mögen, der innere Perfektionist gönnt ihnen keine Ruhe: »Du musst härter arbeiten! Das genügt nicht! Was, wenn du versagst?« Um dieses sogenannte Typ-A-Verhalten zu beenden, das sowohl für das Herz wie für das Gehirn schädlich ist, muss der unter obsessiv-kompulsivem Arbeitsdrang Leidende eine neue innere Sprache entwickeln, die großen Wert auf nichtmaterielle Ziele wie Freundschaft und angenehme Beschäftigungen legt.
Krankhaftes Aufschieben (Prokrastination) ist eine weitere Form schädlichen inneren Dialogs: »Was, wenn ich keinen Erfolg habe? Ich weiß nicht genug, um es zu schaffen. Was soll’s, morgen kann ich mich auch noch damit befassen.« Wie
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