Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
verschwand - wieder wie von der Dunkelheit verschluckt.
Mir blieb der Mund offenstehen. Don Juan lachte schallend, und ich glaubte, alle Bewohner im Hause müßten ihn hören. Ich erwartete sogar, daß sie auftauchen würden, aber niemand kam.
Ich versuchte zu essen, aber ich war nicht hungrig. Ich mußte an diese Frau denken. Ich kannte sie nicht. Oder anders gesagt - ich wußte beinah, wer sie war, doch meine Erinnerung an sie war in einem Nebel verborgen. Ich bemühte mich, klar zu denken. Aber es kostete zuviel Energie, und so gab ich den Versuch auf.
Kaum hatte ich aufgehört, an diese Frau zu denken, da überfiel mich eine seltsame, lähmende Angst. Anfangs glaubte ich, daß dieses wuchtige Haus und die Stille darin mich deprimierten. Aber dann, als ich leises Hundegebell aus der Feme hörte, steigerte sich meine Angst ins Maßlose. Einen Moment fürchtete ich zu explodieren. Don Juan griff rasch ein. Er sprang herbei und drückte mit beiden Händen meinen Rücken nieder, bis meine Wirbelsäule knackte. Der Druck brachte mir sofort Linderung.
Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, wurde mir klar, daß zusammen mit jener lähmenden Angst auch das klare Gefühl, alles zu wissen, verschwunden war. Ich konnte nicht mehr Don Juans Worte vorausahnen, mit denen er meine eigenen Gedanken so klar aussprach.
Und jetzt begann Don Juan mit einer sehr sonderbaren Erklärung. Die Angst, die mich vorhin mit der Gewalt eines Buschfeuers überfallen hatte, so sagte er, sei verursacht durch eine Bewegung meines Montagepunkts bei Carmelas plötzlichem Auftauchen. In diesem Moment hätte ich mich bemüht, meinen Montagepunkt in eine Position zu bewegen, die mir Aufschluß über Carmelas Identität gegeben hätte.
Ich sollte mich abfinden mit der Wiederkehr solcher Angstschübe, denn mein Montagepunkt werde sich immer weiterbewegen. »Jede Bewegung des Montagepunkts ist wie ein Sterben«, sagte er. »Wir lösen uns auf und werden an eine stärkere Kraftquelle angeschlossen. Diese Verstärkung der Energie empfinden wir jedoch als tödliche Angst.«
»Was soll ich tun, wenn es wieder geschieht?« fragte ich. »Nichts«, sagte er. »Einfach abwarten. Der Energie-Schub wird Vorbeigehen. Gefahr besteht nur, wenn du nicht weißt, was mit dir geschieht. Wenn du es aber weißt, ist es nicht so gefährlich.« Und dann erzählte er mir von der Situation der Menschen in früheren Zeiten. Damals, sagte er, habe der Mensch unmittelbar gewußt, was er tun und wie er es tun sollte. Weil ihm alles glückte, entwickelte er ein Ich-Gefühl, das ihm die Illusion vorgaukelte, er könne seine Handlungen vorhersehen und planen. Auf diese Weise entstand die Idee eines individuellen Ich. Ein individuelles Ich, das dem Menschen sein Handeln vorzuschreiben begann. Je stärker dieses individuelle Ich-Gefühl wurde, desto schwächer wurde die natürliche Verbindung des Menschen zum stillen Wissen. Der moderne Mensch - Endpunkt dieser Entwicklung - empfinde daher schmerzlich seine Trennung von allen Dingen dieser Welt. Seine Verzweiflung äußere sich in Gewalt und zynischer Selbstzerstörung.
Die Ursache für die Verzweiflung des modernen Menschen sah Don Juan in einem letzten, uns noch verbliebenen Rest stillen Wissens. Dieser gebe uns, erstens, eine Ahnung von unserer einstigen Verbindung zum Ursprung aller Dinge. Und zweitens lasse er uns begreifen, daß wir ohne diese Verbindung zum Ursprung niemals auf Glück und Frieden hoffen dürften.
Hier glaubte ich Don Juan auf einem Widerspruch ertappt zu haben. Früher einmal hatte er mir erklärt, der Krieg sei die naturgegebene Situation eines Kriegers; und Friede sei eine Anomalie.
»Das ist richtig«, sagte er. »Aber Krieg bedeutet für den Krieger nicht Beteiligung an Akten individueller Dummheit oder kollektiver Gewalt. Krieg ist für einen Krieger der Kampf gegen das individuelle Ich, das uns Menschen unserer einstigen Fähigkeiten beraubt hat.«
Don Juan schlug vor, wir sollten uns weiter über die Idee der Rücksichtslosigkeit unterhalten - jene erste Prämisse der Zauberei. Jede Bewegung des Montagepunkts, das hätten die Zauberer herausgefunden, bedeute nämlich eine Distanzierung von der übertriebenen Betrachtung des individuellen Ich, wie sie den modernen Menschen kennzeichne.
Und die Zauberer glaubten, daß es eine bestimmte Position des Montagepunktes sei, die den Menschen zu einem so gefährlichen Egoisten mache - zu einem ausschließlich mit seinem Selbstbild befaßten Wesen. Weil
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