Die Kreatur
Agoraphobie und wagte sich in eine Welt hinaus, die er als bedrohlich empfand und deren Größenmaßstäbe ihn in panischen Schrecken versetzten.
»Mr Helios, Sir, ich schlage vor, dass wir unsere Sicherheitsvorschriften revidieren und unsere elektronischen Überwachungsanlagen leicht abwandeln, um nicht nur unbefugtes Betreten, sondern auch unbefugtes Verlassen zu verhindern.«
»Tu das«, sagte Victor.
»Ja, Sir.«
»Wir müssen ihn finden«, sagte Victor mehr zu sich selbst als zu Werner. »Er hat das Gebäude mit einer ganz bestimmten Absicht verlassen. Mit einem klaren Ziel vor Augen. Seine Entwicklungsstörung ist so ausgeprägt und sein Blickfeld so eingeschränkt, dass er das nur geschafft haben kann, wenn ihn ein heftiges Verlangen zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat.«
»Dürfte ich vorschlagen, Sir, dass wir sein Quartier so
gründlich durchsuchen, als seien wir die Polizei, die einen Tatort nach Spuren absucht? Möglicherweise finden wir einen Hinweis auf sein Vorhaben oder auf sein Ziel.«
»Das möchte ich dir aber auch geraten haben«, warnte Victor.
»Ja, Sir.«
Victor ging zur Tür, zögerte und warf einen Blick zurück auf Werner. »Wie geht es deinen Schleimhäuten?«
Der Chef des Sicherheitsdiensts kam einem Lächeln so nah wie noch nie zuvor. »Viel besser, Sir. In den letzten Tagen habe ich überhaupt keinen Nasenschleim nicht produziert.«
»Keinen Nasenschleim produziert«, korrigierte ihn Victor.
»Nein, Sir. Wie ich schon sagte, ich produziere überhaupt keinen Nasenschleim nicht.«
13
Carson O’Connor lebt in einem schlichten weißen Haus, dessen einzige Zierde eine Veranda ist, die sich um drei Seiten zieht.
Eichen, die mit Louisianamoos behangen sind, werfen Schatten auf das Grundstück. Zikaden singen in der Hitze.
Im Hinblick auf die beträchtliche jährliche Niederschlagsmenge und die langen schwülen Sommer sind die Veranda und das Haus selbst auf Betonpfeilern fast neunzig Zentimeter über dem Boden errichtet, und dadurch entsteht unter dem ganzen Gebäude ein Kriechraum.
Der Kriechraum ist hinter einem breiten Gitter verborgen. Abgesehen von Spinnen lebt hier gewöhnlich nichts.
Aber nun sind ungewöhnliche Zeiten angebrochen. Jetzt teilen die Spinnen ihr Bollwerk mit Randal sechs.
Die Durchquerung der Stadt von den Händen der Barmherzigkeit aus, und noch dazu während eines heftigen Gewitters, hat Randal übel zugesetzt. Zu viel Lärm, zu viele neue Anblicke, Gerüche, Geräusche und sonstige Sinneseindrücke haben ihn geplagt. Nie zuvor hat er derart blindes Entsetzen gekannt.
Beinah hätte er sich mit den Nägeln die Augen ausgekratzt, sich einen scharfen Stock in die Ohren gebohrt, um sein Gehör zu zerstören und sich damit einen Teil der Reizüberflutung zu ersparen. Zum Glück hat er diesen Impulsen nicht nachgegeben.
Obwohl er achtzehn Jahre alt zu sein scheint, ist er erst seit vier Monaten am Leben und dem Tank entstiegen. In all dieser Zeit hat er in einem einzigen Zimmer gelebt, vorwiegend in einer Ecke dieses Zimmers.
Er mag kein Durcheinander. Er mag es nicht, angefasst zu werden oder mit jemandem sprechen zu müssen. Er verabscheut Veränderung.
Und doch ist er jetzt hier. Er hat alles, was er kannte, aufgegeben und sich auf eine zwangsläufig ungewisse Zukunft eingelassen. Diese Leistung erfüllt ihn mit Stolz.
Der Kriechraum ist eine friedliche Umgebung. Sein Kloster, seine Einsiedelei.
Die Gerüche beschränken sich weitgehend auf die nackte Erde unter ihm, das unbehandelte Holz über ihm, die Betonpfeiler. Gelegentlich dringt ihm ein Hauch Jasmin in die Nase, der nachts stärker duftet als bei Tag.
Wenig Sonne dringt durch die Zwischenräume des Gitterwerks ein. Die Schatten sind tief, doch da er der Neuen Rasse angehört und ein gesteigertes Sehvermögen besitzt, kann er sich mühelos umschauen.
Nur gelegentlich dringen vereinzelte Verkehrsgeräusche von der Straße zu ihm. Von oben, aus dem Innern des Hauses, gelangen Schritte, das Knirschen von Bodendielen und gedämpfte Musik aus dem Radio hinunter.
Seine Gefährten, die Spinnen, haben keinen Geruch, den er wahrnehmen kann, machen keinen Lärm und bleiben unter sich.
Hier könnte er lange Zeit zufrieden sein, weilte nicht in dem Haus über ihm das Geheimnis des Glücks und müsste er es nicht an sich bringen.
In einer Zeitung hat er eine Fotografie von Detective Carson O’Connor und ihrem Bruder Arnie gesehen. Arnie ist autistisch, wie Randal sechs.
Arnie ist von Natur
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