Die Kreuzfahrerin
niedergerissen und sein Schlachtross gesattelt. Nun zahlte sich aus, dass er und seine Kameraden die Pferde geschont und mit Argusaugen bewacht hatten. Zum Abschied gab er ihr einen langen Kuss, und Ursula spürte auf einmal in ihrem Herzen einen Schmerz, der dem ähnlich war, den sie empfunden hatte, als ihre kleine Tochter gestorben war. Nur diesmal war der Schmerz gepaart mit Erinnerung an soviel Zärtlichkeit und Glück und mit der Hoffnung, ihn unversehrt wiederzusehen.
Herakleia,
27. August 1097
Mehrere Tage waren sie dem Heer hinterhergezogen. Dann wurden sie Zeugen der tobenden Schlacht. Längst waren die ersten Angriffswellen geritten, und die Streitmächte waren übergegangen zum blutigen Kampf Mann gegen Mann. Vorsichtig näherte sich der Tross. Knappen und andere fingen flüchtende Kampfrosse ein. Und die ersten Verwundeten kamen ihnen entgegen. Ursula und Hilde hielten neben dem Platz, an dem einige Bader ihr Lazarett unter freiem Himmel aufgeschlagen hatten. Die Luft war erfüllt von Schmerzensschreien. Sie nahmen sich derer an, die nur leichter verwundet waren. Ein Soldat ließ sich vor Ursula auf die Erde fallen. Am Oberarm hatte sein Kettenhemd dem Streich eines feindlichen Schwertes nicht mehr standgehalten. Zwischen den gesprengten Ringen der Rüstung pulste unablässig Blut hervor. Gemeinsam mit Hilde gelang es Ursula, das knielange Metallhemd dem Mann über den Kopf zu ziehen. Den Ärmel seines Hemdes schnitt sie mit ihrem Messer kurzerhand auf. Der Schnitt war tief, und in der weit klaffenden Wunde konnte Ursula den Oberarmknochen sehen. Wie sollte sie diese Wunde nur schließen? Intuitiv drückte sie die Ränder der Wunde zusammen, aber wie sollte sie das Fleisch des Armes so fixieren? Ihr kam eine Idee. „Hilde, Hilde!“, rief sie die Freundin. „Haben wir eine Nadel?“
Verwundert trat Hilde kurz zu ihr. „Was für eine Nadel?“, fragte sie.
„Zum Nähen! Dünn und spitz muss sie sein.“
Hilde durchwühlte daraufhin ihre Sachen. Sie hatte irgendwo eine Nadel, aber wann hatte sie zum letzten Mal sich bemüßigt gefühlt, einen Riss im Kleid oder etwas ähnliches zu flicken? Wo hatte sie die Nadel nur gelassen? Sie fluchte vor sich hin, suchte in ihrer Truhe. Schließlich wurde sie doch fündig. Triumphierend kam sie vom Karren zu Ursula herüber, die immer noch verzweifelt die Wunde des Mannes zusammenhielt.
„Hier“, sagte Hilde, stolz darauf, das kleine Ding gefunden zu haben.
„Reiß mir ein Haar aus“, befahl Ursula, ohne weiter auf Hilde zu achten.
Hilde tat wie geheißen und fädelte ein langes rotblondes Haar in die Nadel. Dann reichte sie Ursula das Werkzeug.
Ursula wusste nicht, ob es gelingen würde. Mit einem Streifen Stoff tupfte sie die Wundränder sauber. Dann stach sie die Nadel durch die Haut auf beiden Seiten des Schnittes. Vorsichtig zog sie die Wundränder zusammen und verknotete das Haar.
„Noch eins“, raunte sie mit rauher Kehle und reichte Hilde die blutige Nadel. Vier Haare zog sie durch die Haut des Mannes, dann hatte sie die Wunde geschlossen. Als sie nun die Wunde vom Blut säuberte, schien nur noch wenig nachzusickern. Sie nahm saubere Stoffstreifen und legte sie um den Arm.
„Es wird besser sein, wenn du den Arm nicht bewegst“, riet sie dem Mann und schaute sich bereits nach dem Nächsten um. Während Hilde einen Bogenschützen versorgte, machte Ursula ein Feuer. Sie brauchte einen Aufguss von Weidenrinde. Rinde und Blätter der Weide hatten die Kraft, Entzündungen zu verhindern. Das wusste sie, und wenn die Verletzten eines nicht brauchten, dann waren das Entzündungen, die meistens Wundfieber nach sich zogen und die Bader zur Amputation des verletzten Glieds veranlassten.
Unermüdlich, bis in die Dunkelheit, kümmerten sich die Frauen um jeden, der zu ihnen kam. Die ganze Zeit über betete Ursula im Stillen für sich, dass es nicht Roderich sei, den die Männer vom Schlachtfeld heranschleppten. Die Idee mit der Nadel kam an diesem Tag noch mehrmals zum Einsatz. Einem Normannen nähte sie sogar die Kopfhaut wieder an, die ein Schwertstreich fast zur Hälfte vom Schädel des Mannes abgehoben hatte. Der Krieger saß grinsend da, nahm ab und an einen Schluck Wein, während Ursula mit der Haut zwischen den blutverklebten Haaren kämpfte. Als sie es endlich geschafft hatte, fiel der Mann einfach auf den Rücken und blieb bewusstlos liegen.
Todmüde und erschöpft schafften Hilde und sie es noch, ihr Zelt notdürftig aufzustellen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher