Die Kreuzfahrerin
los. „Ist das alles?“, fragte er und tat entrüstet. „Krieg ich dafür nicht wenigstens einen Kuss?“
Ursula wusste, er würde sie nicht gehen lassen und sich zur Not nehmen, was er wollte. „Nun, einer zum Dank soll recht sein“, antwortete sie darum keck. Er beugte sich zu ihr, hielt mit beiden Händen ihr Gesicht, so als habe er gerade einen kleinen Vogel gefangen, und berührte ihren Mund ganz sanft mit seinen Lippen. Ursula war so erstaunt darüber, dass Ludger die Chance hatte, den Kuss auszudehnen. Doch als er seine Arme um sie schlingen und sie an sich ziehen wollte, erwachte Ursulas Geist, und sie stieß ihn von sich. „Lass mich, ich muss wieder rein!“, sagte sie und wollte sich eigentlich nach den Kräutern bücken, doch als sie merkte, dass Ludger keine Anstalten machte, wieder nach ihr zu greifen, hielt sie verwundert inne und sah ihn an. Sein Gesicht unter dem struppigen braunen Haar wirkte nachdenklich. Er schien sich nicht schlüssig darüber, was er tun sollte, und glotzte sie nur an. Irgendwie war das komisch, und Ursula huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Sie bückte sich und klaubte die Kräuter auf. Die Sträuße raschelten, und Ursula fiel ein Stein vom Herzen. Sie hatte befürchtet, durch die groben Bretter der Scheune wäre vielleicht Regen oder Schnee gedrungen und hätte die Kräuter verdorben. Sie waren aber offensichtlich trocken geblieben. Ursula freute sich, und dieses Strahlen bezog Ludger auf sich, als sie sich aufrichtend in seine Richtung blickte. „Gib mir noch einen“, forderte er. Ursula fühlte sich auf einmal viel stärker als bisher. Sie war sich sicher, zwingen würde er sie jetzt nicht. Mit den Sträußen im Arm ging sie auf ihn zu, wich seinem Arm aus und drückte ihm flüchtend nur kurz den Mund auf die unrasierte Wange, dann schlüpfte sie schnell auf den Hof hinaus. Zurück im Haus zeigte sie Ester stolz ihre Sträuße, und beide arbeiteten schweigend weiter. Doch sowohl die weise Alte als auch die erfahrene Magd forschten mit kurzen Blicken, um an Ursula etwas zu entdecken, was ihre Gedanken stützen könnte. Ester sagte nichts, doch Ute hielt es nur bis zum Schlafengehen aus. Sie rutschte zu Ursula auf das Lager und flüsterte ihr neugierig ins Ohr: „Na, was ist nun mit Ludger? Hat er dich wieder geküsst?“
Ursula drehte sich unwirsch um. „Was redest du?“, flüsterte sie verärgert zurück. Sie verspürte nicht die geringste Lust, Ute etwas von all dem anzuvertrauen, was vorgefallen war. „Nichts ist. Und nun lass mich schlafen.“ Ute gab aber nicht so schnell auf. „Ich hab’ doch gesehen, wie er dir in die Scheune gefolgt ist. Was habt ihr dort denn getrieben, hä?“
„Nichts, er hat mir geholfen, die Kräuter vom Balken zu holen. Mehr nicht.“
Ute merkte, sie würde diesmal nichts erfahren, doch stichelnd flüsterte sie Ursula noch zu: „Denk dran, was ich dir gesagt habe. Wenn er dich freit, wirst du Bäuerin. Aber einem Hund, den man abrichtet, muss man ab und an auch ein Bröckchen Fleisch hinwerfen.“ Als Ursula aber nicht weiter reagierte, drehte sie sich beleidigt um, kroch auf ihr Lager und spann weiter an dem Geflecht ihrer eigenen Phantasie. Ursula aber überlegte, ob das wirklich möglich wäre. Hier auf dem Hof war sie die Niedrigste von allen. Nach ihr kamen nur Ochse, Hund und die anderen Tiere. Ludger war der Sohn des Herrn, und ihm stand eine Bauerstochter aus der Umgebung zu. Was könnte ihn bewegen, sich für sie zu entscheiden? Wollte sie Bäuerin werden? Aber was sonst? Sie hatte ja nichts. Das wenige, was ihr geblieben war, nachdem das Fleckfieber die Eltern dahingerafft hatte, war dem Bauern vom Oheim gegeben worden, dafür dass dieser bereit war, sie aufzunehmen. So gesehen war sie Magd und sollte es ihr Lebtag auch bleiben. Wenn der Bauer sich je mit einer Heirat einverstanden erklärte, dann nur mit einem jungen Knecht oder Wanderarbeiter, nicht aber mit seinem Sohn. Die kleine Hilfsmagd mochte Ursula aber nicht bleiben. Dessen war sie sich sicher. Sie war klüger als Ute, und sie wusste schon jetzt so viel über Kräuter und deren heilsame Kräfte, das musste doch für irgend etwas gut sein. Über all diesen Gedanken schlief sie schließlich ein.
Draußen versank die Welt derweil immer tiefer im Schnee. Schwer lasteten die weißen Massen auf den Ästen der Bäume, aber auch auf den Dächern des Hofes. Die Männer mussten am nächsten Morgen hinaus in die Kälte, trotz des vom Wind fast
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