Die Kreuzfahrerin
Magd.“
Das reichte Ursula. „Ich muss zurück ins Haus. Ich erfriere noch“, sagte sie und wollte gehen. Er hielt sie fest. „Komm, ich wärme dich“, flüsterte er nun wieder mit sanfter Stimme.
„Nein.“ Ursula wusste nicht, wie ihr die Worte in den Mund kamen. „Dafür braucht es mehr als einen kleinen Bären“, sagte sie, entwich seinem Griff und eilte über den Hof.
Wieder im Bett brauchte sie lange, bis ihr ausgekühlter Körper unter der Decke zu zittern aufhörte. Die ganze Zeit hielt sie die kleine Holzfigur in ihrer Hand fest umschlossen. Nun da sie sich entspannte, fuhren ihre Finger tastend über das Schnitzwerk. Sie war sich unsicher. Jetzt hatte er ihr etwas geschenkt und schien nett zu ihr. Oder wollte er ihr nur schmeicheln, um zu bekommen, was er wollte? Ihre Gedanken ließen sie nicht schlafen. Vielleicht, wenn sie ihn zwingen könnte, immer so zu ihr zu sein. Vielleicht mochte er sie ja so sehr, dass er sie zu seiner Frau machen würde. Dann wäre sie mit einem Mal mehr als Ute, die nichtsahnend neben ihr schnarchte. Aber selbst bei den Tieren, wusste sie, kann der Bulle nicht einfach eine Kuh bespringen, wenn diese nicht will. Gleichzeitig wusste sie, dass ihr Verhalten Ludger gegenüber ungehörig gewesen war. Eine Magd hatte dem Bauern nicht zu widersprechen, geschweige denn etwas von ihm zu fordern. Er könnte sie als ungehorsam und störrisch bestrafen oder sogar vom Hof jagen. Sie wusste einfach nicht, was sie machen sollte. Vielleicht wusste Ester Rat. Mit einem Seufzer gab sie das Nachdenken auf und fiel in einen kurzen Schlaf.
Als sie erwachte, hörte sie, wie Ingrid bereits das Herdfeuer schürte. Rasch erhob sie sich, steckte das Figürchen in ihre Tasche und eilte hinüber zu Ester. Die alte Frau war auch bereits wach und hielt den allmorgendlichen Trank für Ursula bereit. In letzter Zeit wurde der magere Körper Esters immer häufiger von einem heftigen Husten erschüttert, und wenn Ursula morgens an ihr Lager kam, war der kleine Verschlag der Alten erfüllt von einem ungesunden Geruch, der, wie Ursula bald bemerkte, aus dem Mund Esters strömte. Sie kochte ihr Tee aus Minze und Kamille, und immer wieder verabreichte sie ihr Tee aus den pelzigen Blättern des Salbeis. Der Husten ließ aber nicht nach. Ursula berichtete Ester von Ludgers Verhalten und von der eigenen Unsicherheit. Wirklich helfen mochte ihr Ester aber anscheinend nicht.
„Es kommt nicht darauf an, was er macht und möchte. Es kommt darauf an, ob du es willst“, war das einzige, was sie dazu sagte, bevor ein erneuter Hustenanfall sie erschütterte.
Andererseits musste Ester mit ihrem Sohn gesprochen haben, denn Ursula wurde immer seltener zu Arbeiten herangezogen. Statt dessen war es nur noch Ester, die sie um etwas bat und mit der sie immer mehr Zeit verbrachte. Ester gab sich Mühe, dem Mädchen so viel wie möglich von ihrem Wissen zu vermitteln. Ursula spürte die Furcht der Alten, nicht mehr allzu viel Zeit dafür zu haben. Doch ließ sie das Ester nicht spüren. Statt dessen scherzte sie, sprach vom nächsten Frühling und stellte viele Fragen. Und Ester verstand es, Hände und Geist des Mädchens an die vielen Erfordernisse der Kräuterheilkunde zu binden. Ursula freute sich still darüber. Die Gemeinschaft mit Ester erfüllte sie mit Stolz, und das vielfältige Wissen, das ihr jeden Tag anvertraut wurde, forderte ihren Geist so sehr, dass sie kaum noch an die Geschehnisse des Herbstes dachte. Selbst die immer dunkler werdenden Tage, die Kälte des Winters machten ihr weniger aus. Wenn sie in der Nacht allerdings fröstelnd unter ihrer Decke nicht einschlafen konnte, hielt sie häufig den kleinen Engel und den Bären in ihren Händen. Ihre Finger streichelten die Figuren, folgten ihren Konturen, und Ursula dachte an Ludger. Ihre Gefühle waren zwiespältig. Nach wie vor war da die Angst, er könne ihr wieder Gewalt antun. Aber da war auch das Bewusstsein all der kleinen Zugeständnisse, die er ihr in letzter Zeit machte, die dicken Brotscheiben des Sommers, der ab und an aufgefangene wohlwollende Blick, die Figürchen und seine derzeitige Zurückhaltung. Dennoch achtete Ursula sehr darauf, dass sie, wenn es irgendwie möglich war, nicht mehr mitten in der Nacht nach draußen musste. Aber immer wieder war da ein Gedanke, angestoßen von dem knappen Kommentar Esters: „Was will ich?“ Ursula fragte sich morgens nach dem Aufstehen, während der Arbeiten des Tages und nachts auf ihrem Lager. Doch
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