Die Kreuzfahrerin
waagerecht durch die Luft gepeitschten Schnees, um gemeinsam die Dächer zu entlasten. Noch vor den frühen Morgenstunden hatten die Balken ächzend von der schweren Last gekündet und die Hausgemeinschaft in Aufregung versetzt. Der Sturm und der Schnee hatten den Hof längst von der Außenwelt abgeschnitten. Hundert Schritte vom Haus entfernt hätte niemand vermuten können, dass es hier ganz in der Nähe Menschen gibt. Nicht einmal Tierspuren waren im tiefen Schnee zu sehen. Alles schien unberührt und weit weg jeglicher Behausung. Einziges Lebenszeichen in dieser unwirtlichen weißen Wüste blieb die beständig aus der Mitte des Daches aufsteigende Rauchsäule. Das Haus selbst war bis zur Dachkante vom Schnee umgeben. Vom Eingang war ein Weg zum Stall, der Scheune und zu den Holzschobern geschaufelt worden. Mehrmals täglich mussten diese Wege erneuert werden, und Ursula fühlte sich wie eingemauert, wenn sie zwischen den Schneemauern hindurchgehen musste. Soviel Schnee hatte sie noch nicht erlebt, und sie dachte jetzt schon mit Schaudern an die Zeit, wenn all diese frostigen Massen zu tauen beginnen würden. Der ganze Hof und die Umgebung würden noch viel schlimmer, als es jedes Frühjahr geschah, in Wasser und Morast versinken. Die Zeit der Kälte war hart, aber gegen die Zeit der Schneeschmelze wollte sie doch niemand eintauschen. Wenn der Schnee schmolz und der eine oder andere Regentag hinzukam, wurde alles, aber auch wirklich alles feucht, dreckig und nass. In dieser Zeit wurden alle krank, ohne Ausnahme. Zudem waren alle gereizt, und ständig schlugen die Stimmungen im Haus um. Gedämpft hörte Ursula jetzt die Stimmen der Männer durch das Dach, wie sie sich Anweisungen zuriefen. Die ganze Zeit schon rieselte von oben Staub, Stroh und Mäusekot auf alle herab, die im Haus gefangen waren. Ester bekam einen besonders schlimmen Hustenanfall. Ursula nahm ein Stück Tuch und gab es der Alten, damit sie es sich über Mund und Nase halte. Die kleine Magda fing an zu schreien, da ihr beim Schauen nach oben etwas Schmutz ins Auge gekommen war. Ute versuchte sie zu trösten und das Auge zu säubern. Die Situation zerrte spürbar an den Nerven aller. Schließlich wurde es still, und kurz darauf polterten die Mannsleute durch die Tür. Sie stampften mit den Füßen, rissen sich ihre Hüte und Umhänge vom Leib und schüttelten sie kräftig aus. Das war der reinste Veitstanz, und Ute konnte nicht anders, als in ein schallendes Gelächter auszubrechen, das alle ansteckte. Die Männer setzten sich ganz nah ans Feuer und zogen fluchend über die Kälte ihr Schuhwerk aus. Ingrid eilte zu ihrem Mann und begann dessen bloße Füße zu reiben und zu massieren. Ute eilte gleichermaßen dem Knecht zur Hilfe, der sich bereits der Füße des jungen Arnulfs angenommen hatte. Bloß Ludger saß alleine da und mühte sich mit seinen gefrorenen Fußlappen ab. Auffordernd sah er Ursula an. Der Bauer bemerkte das Zögern der Magd. „Wirst du dich wohl sputen!“, schalt er. „Hilf Ludger, aber schnell!“
Rasch warf sich Ursula Ludger zu Füßen und löste die Reste der Lappen. Der Anblick der eiskalten, weißen, blutleeren Füße in ihrem Schoß erschreckte sie zuerst, doch dann folgte sie dem Beispiel der Bäuerin und rieb und knetete so gut sie konnte. So sehr Arnulf auch bereits als Mann gelten wollte, ihm war es bei diesen Schmerzen nicht möglich, die Tränen zurückzuhalten und zu wimmern. Knecht, Bauer und auch Ludger saßen mit verbissenen Mienen da, fluchten über die Kälte und spuckten verächtlich ins Feuer. Ester brachte allen heißen Kräutersud, und der Bauer gab seiner Frau den Auftrag, für die halb erfrorene Männergesellschaft Wein zu erhitzen. Mit Honig gesüßt würde er die Körper von innen mit Wärme versorgen. Ludger hielt seinen Becher mit zitternden Händen, während Ursula noch immer seine Füße rieb. In einem unbeobachteten Moment hielt er ihr rasch den Becher an die Lippen und ließ sie einen Schluck nehmen. Nie hatte Ursula dergleichen getrunken. Sie spürte, wie die Wärme Richtung Bauch floss, aber gleichzeitig, unerwartet und unerkannt, breitete sich die Hitze des Alkohols in ihr aus, stieg ihr zu Kopf und schien ihr die Brust zu füllen. Ursula hätte fast erstaunt einen juchzenden Laut von sich gegeben, rettete sich aber zu ihrem Glück in einen Hustenanfall. Was war das für ein Getränk? fragte sie sich und sah sich verstohlen um, doch alle waren beschäftigt und schienen nichts bemerkt zu
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