Die Kreuzfahrerin
Ursula war allein.
„Wir müssen warten, bis Ludger zurückkommt, und hören, was er dazu sagt“, murrte Matthes grollend und gab seiner Frau gleichzeitig ein Zeichen, dass es für den Moment genug sei. „Ich brauche Luft“, sagte er noch, stand auf und ging hinaus in den Hof. Ingrid folgte ihm, und Ursula konnte hören, wie sie draußen zischend auf ihren Mann einredete.
Ute begann den Tisch zu decken, und Ursula packte mit an. „Warum hast du nichts gesagt? Du weißt doch auch Bescheid?“, fragte sie die Magd.
„Ich weiß nichts. Und was hätte ich sagen sollen?“, entgegnete diese unwirsch.
„Aber du hast mir doch geraten …“, setzte Ursula nochmals an.
„Nix hab ich. Ich hab nicht gesagt, du sollst dir ein Kind machen lassen, und weiß ich denn, von wem es ist? Nein. Also lass mich in Ruhe.“
Fast hätte sich Ursula auf Ute gestürzt, um sie zu schlagen, so ungeheuerlich kam ihr das Verhalten der Magd vor. Doch die neugierig auf sie gerichteten Kinderaugen Magdas und Liesels bremsten sie.
„Was habe ich euch allen denn plötzlich getan?“, drang es leise aus ihr.
„Was du getan hast, musst du selbst am besten wissen. Das Ergebnis wächst in dir.“ Utes schnippische Bemerkung erreichte Ursula nicht mehr. Sie rannte aus dem Haus. Am Bauern und seiner Frau vorbei. „Heh!“, rief der Bauer erstaunt aus, doch auch das nahm Ursula nicht wahr. Ihre Sicht getrübt von einem Tränenschleier rannte sie in die Dunkelheit, stolperte, konnte einen Sturz so gerade vermeiden, strauchelte weiter und fiel schließlich doch. Da blieb sie liegen und weinte. Warum, warum nur hatten sich alle gegen sie gewandt? Warum war Ludger ihr nicht beigestanden? Was war denn plötzlich in alle gefahren? Was war denn passiert?
Hier stockten ihre Gedanken. Sie rappelte sich etwas auf. Kniend wurde sie gewahr, dass um sie herum tiefste Dunkelheit herrschte. Noch wusste sie, in welcher Richtung der Hof lag, doch sonst war alles um sie herum nur pure Finsternis. Mit einer Hand strich sie sich über den Bauch. In tiefer Verzweiflung flüsterte sie ein Wort, einen Namen, den sie viele Jahre nicht mehr ausgesprochen hatte: „Mutter!“ Sie kam sich auf einmal so klein vor, so verlassen und ängstlich, und sie sehnte sich nach einer Geborgenheit, von der sie bis dahin nicht mehr gewusst hatte, dass sie selbst sie einst gespürt hatte. Die Arme, die Wärme und die Nähe einer Geborgenheit, die ein Kind in der Umarmung der Mutter fühlt. Sie streichelte ihren Bauch – und nun sollte sie selber Mutter sein? Wie sollte das gehen, sie war doch noch so klein, so unvorbereitet. Tränen rannen ihr über die Wangen, und wieder flüsterte sie: „Mutter.“ In den Bäumen rauschte der Wind, im Gehölz knackte ein Zweig. Ursula wurde kalt. Das Gras um sie herum war feucht, der Wind fuhr ihr in die Kleider. Sie fröstelte. Langsam stieg Angst in ihr empor. Vorsichtig erhob sie sich, und mit kleinen, tastenden Schritten suchte sie sich ihren Weg zurück zum Hof. Niemand wartete auf sie. Als sie leise durch die Tür trat, war innen bereits alles dunkel. Die Glut im Herdfeuer glomm und gab ihr etwas Orientierung. Sie schlich zu ihrem Lager und legte sich nieder. Warum hatte Ludger nichts gesagt? Aber vielleicht hatte er auch schon nichts mehr mitbekommen. Sie musste mit ihm reden. Doch wann würde er wiederkommen? Mit diesen Gedanken schlief sie ein. Doch ihr Schlaf war nicht fest, zu besorgt, ängstlich und unruhig war sie. Und doch schreckte sie erst auf, als Ingrid bereits am Herdfeuer zu werken begann. Schnell raffte sie sich auf und wollte ihren Pflichten nachkommen. Doch durch das schnelle Aufstehen wurde ihr plötzlich schwindelig. Der Boden schien zu wanken, und sie spürte den Drang, sich übergeben zu müssen. Sie schluckte, holte tief Luft und eilte dann an der Hausherrin vorbei auf den Hof. Weit kam sie nicht, und sie musste sich übergeben. Ute kam hinter der Scheune hervor, ihr Blick war spöttisch. „Das geht vorbei“, sagte sie, „spätestens wenn dein Bauch prall und rund ist, wirst du dich an den Zustand gewöhnt haben.“
Ursula war zu sehr damit beschäftigt, auf den Beinen zu bleiben, um ihr etwas zu erwidern. Sie wankte zum Brunnen und spülte sich den Mund aus. Dann sammelte sie ihre Kräfte und ging zurück ins Haus, ihre Pflichten erfüllen. Sie wollte nicht noch mehr Anstoß erregen. Langsam kehrten die Erinnerungen des vergangenen Abends zurück, die Wut und die Ablehnung, die sie gespürt hatte. Waren
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