Die Kreuzfahrerin
diese Gefühle bei Ingrid schon immer da gewesen? fragte sie sich jetzt, während sie den Brei rührte. Hatte Ingrid sie auf dem Hof nur geduldet, weil ihr Mann einem Verwandten nicht abschlagen konnte, sie aufzunehmen, und sie jemanden für die kleinen Kinder brauchten? Später beim Melken kam ihr der Gedanke, dass sie die ganzen Jahre nur geglaubt hatte, sie sei ein Mitglied der Hofgemeinschaft. Aber was war mit Ludger? Wie sah er sie? Ungeduldig suchte sie sich den ganzen Vormittag Tätigkeiten in der Nähe des Hofes und hielt Ausschau nach dem Jungbauern.
Es war schon fast Mittag, als sie ihn am Waldrand kommen sah. Sie ließ einfach alles stehen und liegen und eilte ihm entgegen. Als Ludger sie kommen sah, schien es für einen Augenblick, als wolle er fortlaufen, doch dann verhärtete sich seine Miene, und er schritt weiter auf den Hof zu. Er hielt auch nicht an, als Ursula ihn erreichte. Sie musste sich ihm in den Weg stellen und ihn an den Armen festhalten, damit er stehenblieb.
„Ludger!“ Außer Atem rang sie nach Worten und Luft. „Ludger, warum bist du gestern so schnell gegangen? Warum hast du nichts gesagt? Ludger?“
Störrisch schaute sie der junge Mann an. „Ich musste gehen, es war Eile geboten“, erwiderte er nur.
„Aber jetzt, jetzt wirst du doch etwas sagen?“ Ursula hielt ihn fest. „Ludger!“ Der Klang ihrer Stimme wurde noch eindringlicher. „Wir bekommen ein Kind.“
„Was heißt hier wir? Du bekommst ein Kind. Was habe ich damit zu tun?“
„Aber du warst doch mit mir zusammen. Du hast mich doch gern? Willst du mich nicht zur Frau nehmen?“
„Ich dich? Das geht nicht. Nein, warum sollte ich? Und jetzt lass mich.“
Er riss sich los und ging weiter. Völlig hilflos sah Ursula ihm nach. „Ludger!“, rief sie nochmals. Doch ihr Ruf erreichte nur, dass nun die Bäuerin aus der Tür trat, um zu sehen, was vor sich ging. Ludger drückte sich an Ingrid vorbei ins Haus, und die Bäuerin blieb in der Tür stehen, als wolle sie Ursula den Eingang verwehren. Feindselig sah sie dem Mädchen, das auf den Hof zurückkam, entgegen. Ursula wusste, dass es keinen Sinn hatte, Ludger jetzt hinterherzulaufen, und ging wieder an ihre Arbeit.
Den ganzen Tag sprach niemand mit ihr ein Wort. Selbst das Schweigen beim Abendbrot war ein anderes, bedrohlicheres als an anderen Tagen. Schließlich sprach Matthes die Hilfsmagd direkt an: „Ursula, ich will die Wahrheit wissen. Mit wem warst du zusammen?“
Fest sah Ursula dem Bauern in die Augen, als sie antwortete: „Mit niemandem. Nur mit Ludger.“
„Sohn, ist das wahr?“
Ludger saß da, mit gesenktem Kopf und sagte nichts.
Matthes wurde sichtlich ungeduldig. „Bursche, mach das Maul auf! Ist das wahr?“
„Nein!“, blaffte er zurück, ohne den Kopf zu heben.
Matthes war aber nicht zufrieden. „Schau mich gefälligst an! Glaubst du, ich habe keine Augen im Kopf? Meinst du, ich habe nicht gesehen, dass du ihr immer nachgeschlichen bist? Also sag mir ins Gesicht, hast du bei ihr gelegen?“
„Nein!“ Trotzig und mit Zorn in den Augen sah Ludger seinen Vater jetzt an. „Ich bin ihr nur hinterher, um zu sehen, was sie treibt. Und ich habe sie mehrmals erwischt, wie sie auf der faulen Haut lag im Wald. Sie geht weit und hoch, bis zum Felsentümpel.“
Ursula traute kaum ihren Ohren. Ihr geheimer Lieblingsplatz war gar nicht nur ihr bekannt. Ludger musste sie bis dorthin verfolgt haben. Wie oft? fragte sie sich jetzt, und was hatte er gesehen?
„Das habe ich dich nicht gefragt. Hast du mit ihr Unzucht getrieben, ja oder nein?“
„Nein.“ Leiser und bestimmt kam diese Antwort über Ludgers Lippen, und der Bauer wollte weiter auf ihn eindringen, doch da schaltete sich Ingrid ein.
„Da hörst du es, Mann!“, keifte sie los. „Auf der Bärenhaut hat sie gelegen und uns weisgemacht, sie sammle Kräuter und Pilze. Man sammelt all das, was sie auf den Hof trug, nicht im Schlaf. Da muss jemand sein, der ihr die Sachen gab, und sie belohnte ihn mit ihrer Schamlosigkeit. Und jetzt“ – kleine weiße Schaumflöckchen bildeten sich in den Mundwinkeln der Bäuerin, und sie spuckte quer über den Tisch bei jedem zischenden Laut –, „und jetzt will sie uns ihren Balg unterschieben, dass wir ihn auch noch durchfüttern. Sie hat die Sünde auf unseren Hof gebracht. Gott wird uns dafür strafen. Schon haben wir eine Kuh und ein Kalb verloren.“ Ihre Stimme wurde weinerlich. „O Gott, bewahre uns vor allem Übel.“ Sie bekreuzigte
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