Die Kreuzfahrerin
nichts.“ Ursula zögerte, dann nahm sie das Geschenk. Zu mehr schien Ute nicht fähig. Ursula sagte nur: „Ach, Ute!“ Und nach einer Pause: „Danke.“ Ute sagte nichts mehr. Verlegen stand sie noch kurz da, dann drehte sie sich um und lief weg. Ursula sah ihr verwundert nach. Ute hatte recht, das Tuch konnte sie gut gebrauchen. Der Stoff, der ihr nach dem Markt gegeben worden war, bestand aus dickerer Wolle und war gut für die kalte Zeit. Dieser hier war viel feiner und dünner. Sie legte ihn zu den Kräutersäckchen.
Langsam reichte die Dämmerung draußen nicht mehr aus, um genügend Licht im Hausinneren zur Verfügung zu stellen, und Ursula konnte in ihrer Ecke kaum noch etwas sehen. Sie ließ es gut sein. Noch war es eigentlich zu früh, um sich auf das Lager zu legen. Da sie sich nicht mehr an der allabendlichen Arbeit des Hofes beteiligte, hatte sie nichts zu tun. Sie wollte noch mal an die Luft. Ohne aufzusehen durchquerte sie den Raum und trat nach draußen auf den Hof. Sie überquerte ihn und blieb am Rand des Weges stehen und schaute den Pfad hinauf, als wolle sie ihre ersten Schritte am morgigen Tag planen. Ihr war schwer ums Herz. Tiefhängende Wolken, die bereits von unten durch die letzten Sonnenstrahlen beschienen wurden, kündigten baldigen Regen an. Vorsichtig machte sie zwei Schritte auf den Weg. Dann drehte sie sich um und sah auf den Hof. Schlimm ist es nicht, all das zu verlassen, dachte sie beim Anblick des Hauses, der Scheune und des Stalls. Schlimm ist, dass niemand mich hier haben will. Sie setzte sich auf einen Stein, beobachtete die dünne, von der Sonne erleuchtete Rauchfahne über dem Dach. Dass weder Ludger noch sonst jemand für sie einstand, das kränkte sie, das tat weh. Und es machte ihr noch klarer, dass sie nicht wirklich dazugehörte. Was wird jetzt? fragte sie sich. Das Ungewisse, Neue am Ende dieses Weges hinter ihr reizte sie. Unbegreifbar blieb ihr noch das Geschöpf in ihrem Bauch. Ich bekomme ein Kind. Sie sagen, ich bin in Hoffnung. Aber warum spüre ich nichts davon? Wo ist dieses Kind, ist es noch so klein? Kleiner noch als dieses nackte Kälbchen? Sie erinnerte sich an den Bauch, den Ingrid hatte, vor der Geburt von Magda, wie sie immer weiter angeschwollen war, bis eines Tages das Kind kam. Sie strich sich über die kaum sichtbare Wölbung ihres Bauchs. Konnte der so groß, prall und rund werden?
Der Himmel und die Wolken hatten mittlerweile ein bleiernes Blaugrau angenommen. Ursula wurde langsam kalt. Sie erhob sich und schritt langsam auf das Haus zu. Gernot trat durch die Tür und sah sich um. Er entdeckte Ursula und trat auf sie zu. Kurz schaute er sich um, als habe er etwas zu verbergen. Ist es ihm unangenehm, mit mir gesehen zu werden? Ursula wunderte sich über das Verhalten des Knechts.
„Ursula.“ Leise sprach er ihren Namen. „Ich weiß, es ist nicht recht, was dir widerfährt, und dass Ludger nicht ehrlich ist, aber ich kann nichts tun. Was der Bauer sagt, gilt. Hier, es wird jetzt immer kälter, und da ist es gut, wenn man sich ein Feuer machen kann. Du weißt doch damit umzugehen, oder?“ Er legte ihr ein Feuereisen, einen Stein und ein Stück Zunderschwamm in die Hand.
„Ja, ich kann das“, antwortete Ursula zögerlich. Dass Gernot ihr etwas dermaßen Wertvolles gab, verwirrte sie. Sie spürte, wie die vor einigen Momenten noch vermutete Ablehnung aller sich auflöste und in ihr ein warmes Gefühl entstand, das ihr gleichzeitig aber auch die Tränen in die Augen trieb.
„Sei aber auf der Hut. Mach nicht viel Rauch und verdecke den Schein der Flammen bei Dunkelheit. Sonst lockst du dir Gesindel an, und das kann gefährlich sein. Denk immer daran, keine Flammen bei Nacht, keinen Rauch am Tag.“ Er schloss ihr die Hand um sein Geschenk, drückte diese noch einmal kurz und ging wieder.
Ursula folgte ihm kurz darauf ins Haus und begab sich ungesehen auf ihr Lager. Leise weinte sie und bekam nun doch Angst vor dem, was kommen mochte.
Die Dunkelheit um sie herum schien sich zu verdichten, doch dann drängten die Geräusche der anderen und der Tiere, das Knarzen eines Balken sie wieder zurück. Wo werde ich morgen Nacht liegen? Der Gedanke war mächtig, die Frage nicht zu beantworten. Nur die Hoffnung auf das Dorf gab etwas Trost. So kam dann doch noch der Schlaf über sie, und sie schreckte erst wieder auf, als Ingrid und Ute bereits wieder am Herdfeuer die allmorgendlichen Geräusche verursachten, die jeden im Haus vom Lager
Weitere Kostenlose Bücher