Die Kreuzfahrerin
weiterkommen“, wiegelte Ruth die Neugierde ihres Mannes ab. Zu Ursula sagte sie noch: „Das kann ruhig unter uns bleiben. Ich zeig dir alles, was ich weiß, und sicher wirst du von dem Hof, auf dem du warst, auch manches kennen. Oder gab es dort keine Kinder?“
„Doch, doch.“ Ursula lächelte wieder und freute sich, in Ruth eine Vertraute gefunden zu haben. Sie standen beide auf. Ruth hob den kleinen Johannes in seinen Korb auf den Wagen, und die Reise konnte weitergehen.
Vor den Mauern Arqas,
15. April 1099
Wehmütig gedachte Ursula in diesem Moment der netten Handelsleute. „Was sie wohl jetzt machen, wo sie wohl sind?“, fragte sie sich. „Sind sie vielleicht doch nach Clermont gegangen und haben den Papst gesehen und seine Rede gehört?“ Ursula konnte sich gut vorstellen, dass Karl nicht abgeneigt gewesen war, seine Schuld auf der Pilgerfahrt zu tilgen. Lothar wird wohl eher dafür gewesen sein, sich aus allem rauszuhalten. Ob irgendwo unter den vielen Tausenden von Kriegern auch Karl war?
Sie spürte wieder eine Wehe kommen, doch die Gedanken an Ruth und das schwesterliche Vertrauen, welches sie auf der gemeinsamen Reise zu ihr gefasst hatte, stimmten sie versöhnlich mit dem aufkeimenden Schmerz. Sie streichelte sich ihren Bauch und atmete tief und ruhig, bis die Wehe wieder abklang. Sie rappelte sich erneut auf und schaute sich um. Weit würde sie nicht mehr kommen. Es war schon fast gänzlich dunkel, und ein Weg war nur schwer auszumachen. „Vielleicht bleibe ich besser hier“, dachte sie bei sich. Die Felsen gaben ihr guten Schutz vor dem Wind, und mit der Hand, die sie auf einen der Steine stützte, spürte sie die Wärme, die dieser noch vom Tag gespeichert hatte. Wieder kam eine Wehe. Sie wurden nun häufiger, und Ursula wollte sich gerade wieder setzen, da spürte sie, wie es ihr nass die Beine hinunterrann. „O Gott!“ Sie verlor das Wasser. Zu genau wusste sie mittlerweile, was das bedeutete. Sie musste sich vorbereiten. Das Kind wollte jetzt kommen, und sie war alleine. Ursula bekam Angst. „Herr Gott, ich weiß, ich habe gesündigt. Viele Male. Aber bitte, bitte lass mich nicht alleine mit dem, was kommt. Bitte, bitte schicke mir Hilde oder sonst jemanden.“ Schließlich gewann ihre Vernunft wieder Oberhand. Bevor die nächste Wehe kam, setzte sie sich mit dem Rücken an den Fels gelehnt. Dann versuchte sie sich an alles zu erinnern, was getan werden musste und was sie brauchen würde. Sie dachte zurück an Regensburg. Um sich zu erinnern, wie es bei der Geburt damals vonstatten ging, was getan wurde. Bei der Erinnerung begann sie zu zittern. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, vor lauter Furcht das Bewusstsein zu verlieren. Sie spürte den Schmerz und den Druck, biss die Zähne zusammen und fügte sich in ihr Schicksal. Sie hatte noch Wasser, wenn auch nicht viel. Sie hatte ein Messer, sie hatte ihr Tuch. Sie sollte sich Lappen aus ihrem Unterkleid reißen, und sie bräuchte auch noch einen Bindfaden. All das schoss ihr durch den Kopf, während die ersten Sterne über ihr aufblitzten.
Regensburg,
12. September 1095
Sie waren fünf Tage unterwegs gewesen. Am Mittag des folgenden Tages endete die Hügelkette, auf der sie gewandert waren, und ein Tal tat sich zu ihren Füßen auf. Ursula konnte einen großen Fluss sehen, mit einer Insel darin, und direkt dahinter erhob sich die Stadt. Sie sahen viele Rauchfahnen aus unzähligen Häusern, die dicht an dicht vom Flussufer aus einen Hügel bedeckten. Zwischendrinnen standen auch größere Gebäude mit hohen Türmen. Karl erklärte Ursula, dass dies Kirchen und Klöster seien. Über den Fluss führte ein Steg direkt in die Stadt. „Dort müssen wir hin“, sagte Lothar schlicht und führte die Pferde bergab.
Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr Bewegungen nahm Ursula auf der Brücke und am Flussufer wahr. Es schien ein ständiges Kommen und Gehen. Als sie schließlich am Fluss anlangten, standen auf der Brücke zwei Männer mit Lanzen und Rüstung, die ihnen den Weg versperrten.
„Langsam, langsam, was bringt ihr?“
Lothar trat ohne Zögern auf die beiden zu. „Wir bringen Stoffe und allerlei Tand aus dem Frankenland.“ Dann schien er einen der Soldaten zu erkennen. „He du, du kennst mich doch, ich war schon letztes Jahr hier. Hab ich dir nicht ein kleines Fässchen roten Wein verkauft? War er so schlecht, dass du mich nicht mehr in die Stadt lassen magst?“
Die Soldaten schauten sich beide an, und der
Weitere Kostenlose Bücher