Die Kreuzzüge
dem französischen Kreuzfahrerheer. Am 11. Juni 1147 stand der Papst neben Abt Bernhard, seinem Mentor, einer symbolträchtigen öffentlichen Zeremonie vor, die in der riesigen königlichen Kathedrale Saint-Denis einige Kilometer nördlich von Paris stattfand, von wo Ludwig im Rahmen eines öffentlichkeitswirksamen Ritus ins Heilige Land aufbrach. In dieser Versammlung verdichtete sich die neu hinzugekommene königliche Dimension der Kreuzzugsidee, sie warf außerdem ein bezeichnendes Licht auf die zunehmende persönliche Frömmigkeit des jungen Königs. Auf dem Weg [239] zur Feier in Saint-Denis beschloss Ludwig, zum Zeichen seiner religiösen Demut einen »spontanen« zweistündigen Umweg zur dortigen Leprakolonie zu machen; den Papst und seine glamouröse Ehefrau Eleonore von Aquitanien ließ er buchstäblich am Altar warten. Es hieß von der Königin, sie sei »vor Ergriffenheit und wegen der Hitze fast in Ohnmacht gefallen«.
Als Ludwig dann schließlich in Saint-Denis eintraf, beobachtete die schweigende Menge der Adligen, die dicht gedrängt in den Seitenschiffen stand, ehrfürchtig, wie »er sich demütig zu Boden warf und zu seinem Schutzpatron, dem heiligen Dionysius, betete«. Der Papst übergab dem König Pilgerstab und Pilgertasche; dann hob Ludwig die alte Oriflamme in die Höhe, die als Schlachtstandarte Karls des Großen und eigentliches Symbol der französischen Monarchie galt. In einer einzigen Handlung vermittelte diese leidenschaftliche Geste mehrere wirkungsvoll miteinander verknüpfte Botschaften: Ein Kreuzzug war ein Akt wahrer christlicher Frömmigkeit; Ludwig war ein wahrhaft hoheitsvoller König; und die römische Kirche stand im Mittelpunkt der Kreuzfahrerbewegung. 10
Die meisten Truppen des zweiten Kreuzzugs brachen im Frühsommer 1147 in die Levante auf. Auf den ruhmvollen Spuren des ersten Kreuzzugs wollten sie durch Byzanz und Kleinasien ostwärts ziehen. Nach der Zeremonie in Saint-Denis brach Ludwig an der Spitze seines Heeres von Metz auf; Konrad III., der seine deutschen Truppen in Regensburg versammelt hatte, machte sich im Mai auf den Weg. Dieser gestaffelte Aufbruch war wohl abgesprochen und möglicherweise das Ergebnis von Plänen, die in Châlons-sur-Marne vereinbart worden waren. Man wollte erreichen, dass beide Kontingente dieselbe Strecke – durch Deutschland und Ungarn – nach Konstantinopel nehmen konnten, ohne die lokalen Ressourcen zu stark zu strapazieren. Doch trotz dieser frühen Absprachen und all der eifrig genährten Träume von einer Wiederbelebung einstiger Heldentaten und Leistungen entwickelte sich der Versuch, das Heilige Land zu erreichen, zu einer fast vollständigen Katastrophe.
Das lag zu einem Großteil daran, dass es nicht gelungen war, konstruktiv mit dem byzantinischen Imperium zusammenzuarbeiten. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatte auch Alexios I. Komnenos zu denen gehört, die den ersten Kreuzzug befürworteten, und es war ihm gelungen, [240] dessen Kampfkraft zur Rückeroberung des westlichen Kleinasiens zu nutzen. Im Jahr 1147 befand sich sein Enkel, Kaiser Manuel, in einer ganz anderen Situation, und er hatte ganz andere Perspektiven. Manuel war nicht daran interessiert, dass zu diesem neuen lateinischen Feldzug aufgerufen wurde; nun, da sich die Truppen in Marsch gesetzt hatten, sah er im Gegenteil seine Macht und seinen Einfluss beschnitten. Im Westen eröffnete die Abwesenheit Konrads III. dem Normannenkönig Roger von Sizilien die Möglichkeit, griechisches Territorium anzugreifen, und die Vorstellung, dass zwei riesige fränkische Heere durch sein Imperium und geradewegs auf Konstantinopel zu marschierten, bereitete dem Kaiser größte Sorge. Im Osten deutete gleichzeitig alles darauf hin, dass der neue Kreuzzug die geschwächte Stellung von Outremer wieder stärken und das jüngst erst zustande gebrachte Wiederaufleben der byzantinischen Autorität in Nordsyrien zum Stillstand bringen würde – eine Befürchtung, die durch die Familienbande zwischen Raimund, dem Fürsten von Antiochia, und König Ludwig VII. nur noch verschärft wurde. Für Kaiser Manuel bedeutete der zweite Kreuzzug eine unliebsame Bedrohung. Als die fränkischen Truppen sich seinem Imperium näherten, nahmen die Sorgen des Kaisers ein solches Ausmaß an, dass er beschloss, wenigstens seine Ostgrenze zu sichern, indem er mit Masud, dem seldschukischen Sultan von Anatolien, einen befristeten Waffenstillstand vereinbarte. Für die Griechen war dieser Schritt ohne
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