Die Kreuzzüge
zu vertreiben. Ohne Zweifel war das Jahr 1144 für den Islam ein Wendepunkt im Krieg um das Heilige Land. Zugleich ist klar, dass Zangi alles unternahm, um seinen Erfolg als einen entscheidenden Schlag darzustellen, ausgeführt im Namen aller Muslime durch einen von brennendem Glaubenseifer erfüllten Mudschahid.
Innerhalb der islamischen Kultur spielte die arabische Dichtung schon seit langem eine wichtige Rolle, sie beeinflusste und reflektierte die öffentliche Meinung. Auch an den Hof von Zangi kamen Dichter, darunter syrische Flüchtlinge, die der lateinischen Herrschaft entkommen waren, und in ihren Werken feierten sie die Erfolge des Atabeg und stellten ihn als den Anführer einer umfassenden Dschihad-Bewegung dar. Ibn al-Qaysarani aus Cäsarea schrieb, wie wichtig es sei, dass Zangi die gesamte syrische Küste ( Sahil ) zurückeroberte; dies sollte das oberste Ziel des heiligen Krieges sein. »Fordert die Herrscher der Ungläubigen auf, [. . .] all ihre Gebiete aufzugeben«, so seine Worte, »denn dies ist [Zangis] Land.« Gleichzeitig wurde diese Vorstellung einer Eroberung der ganzen Levante mit einem präziseren Ziel gekoppelt, einem Ziel mit einem klaren religiösen Schwerpunkt: Jerusalem. Edessa lag zwar viele hundert Kilometer nördlich von Palästina, dennoch wurde diese Eroberung als erster Schritt auf dem Weg einer Wiedereroberung der Heiligen Stadt gedeutet. »Wenn die Eroberung von Edessa das hohe Meer ist«, so Ibn al-Qaysaranis Bild, »dann sind Jerusalem und die Sahil seine Gestade.«
Viele muslimische Zeitgenossen scheinen diese Darstellung Zangis als eines Dschihad-Kriegers akzeptiert zu haben. Der Abbasiden-Kalif in Bagdad verlieh ihm nun den volltönenden Titel »Helfer des Herrn der Gläubigen, des von Gott unterstützten Königs«. Diese Bestätigung [249] durch den Kalifen trug beträchtlich zur Stärkung von Zangis Position bei, denn immerhin waren die Zangiden in gewissem Maße noch Außenseiter – türkische Emporkömmlinge, Kriegsherren ohne angeborenes Recht, über die traditionellen arabischen und persischen Hierarchien zu herrschen. Außerdem wurde die Vorstellung zunehmend populärer, dass die gesamte Laufbahn des Atabeg auf diesen einen großen Erfolg zulief. Sogar ein Chronist im rivalisierenden Damaskus erklärte, dass »Zangi schon immer erpicht darauf gewesen war, Edessa zu erobern, und auf eine Möglichkeit wartete, seinem Ehrgeiz Genüge zu tun. Immer dachte er an Edessa und vergaß es nie.« Aufgrund seines Sieges von 1144 bezeichneten ihn spätere islamische Chronisten als shahid (Märtyrer), eine Ehre, die nur denen zuteil wurde, die »auf dem Pfad Gottes« als dem Dschihad ergebene Kämpfer zu Tode kamen.
Das soll nun nicht heißen, dass Zangi erst nach seinem überraschenden Erfolg von Edessa erkannte, wie politisch nützlich es für ihn sein konnte, die Prinzipien des heiligen Krieges hochzuhalten. Eine Inschrift in einer von Zangi geförderten madrasa (theologische Hochschule) in Damaskus beschrieb ihn bereits im Jahr 1138 als »Kämpfer für den Dschihad, den Verteidiger der Grenzen, den Bändiger der Polytheisten und den Vernichter der Ketzer«; dieselben Titel wurden dann vier Jahre später für eine Inschrift in Aleppo verwendet. Aufgrund der Ereignisse von 1144 konnte Zangi diesen Aspekt seines Werdegangs stärker betonen und ausweiten, allerdings blieb der Dschihad gegen die Franken nach wie vor nur ein Thema unter vielen. Zu Lebzeiten war es Zangis oberstes Bestreben, sich als Herrscher der gesamten islamischen Welt darzustellen. Dieses Ziel drückte sich auch darin aus, dass er zahlreiche Ehrentitel verwendete, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse (und verschiedenen Sprachen) von Mesopotamien, Syrien und Diyar Bakr zugeschnitten waren. Im Arabischen wurde er als Imad ed-Din Zangi bezeichnet (»Zangi, die Säule der Religion«), im Persischen trat er als »Wächter der Welt« oder »großer König des Irans« auf, in der türkischen Sprache der Nomaden schließlich gab er sich den Titel »Fürst der Falken«. 1
Kaum etwas deutet darauf hin, dass Zangi den Dschihad vor oder sogar nach 1144 allen anderen Interessen übergeordnet hätte. Anfang 1145 unternahm er zwar Schritte, um seinen Einfluss auf die Grafschaft Edessa zu festigen, indem er den Franken die Stadt Saruj abnahm und eine lateinische Entsatztruppe besiegte, die sich bei Antiochia gesammelt [250] hatte. Doch es dauerte nicht lange, und er kämpfte, diesmal im Irak, wieder gegen seine
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