Die Kreuzzüge
römischen Kirche gewesen. Das Papsttum hatte demnach die Macht, die Kreuzzugsaktivitäten zu strukturieren und zu definieren, und es soll einzig auf die elementare Kraft der Predigten für den zweiten Kreuzzug zurückzuführen gewesen sein – auf die ausgesprochen subtile Botschaft der Bulle »Quantum praedecessores« sowie auf Bernhards inspirierende rhetorische Fähigkeiten –, dass es nach 1146 möglich war, die Kreuzzugsaktivitäten in bislang nicht gekanntem Ausmaß auf neue Schauplätze auszudehnen.
Die Kämpfe auf der Iberischen Halbinsel und im Baltikum hatten keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Krieg um das Heilige Land, sieht man von einer gewissen Umleitung von Kämpfern und Ressourcen ab. Die Folgen einer solchen Interpretation des zweiten Kreuzzugs sind allerdings gravierend und reichen weit, weil sie sich auf den späteren Umfang und Charakter des christlichen heiligen Krieges beziehen. Zwei Fragen sind hier entscheidend: Gab die römische Kirche tatsächlich von sich aus den Anstoß, das Kreuzzugswesen im Zusammenhang mit einem zuvor ausgearbeiteten Entwurf zu erweitern, oder ergab sich diese Entwicklung eher zufällig? Außerdem: Kann man tatsächlich davon ausgehen, dass der Papst in der Mitte des 12. Jahrhunderts die Kreuzzugsbewegung in der Hand hatte?
Die Vorstellung, auch Kriege außerhalb der Levante könnten durch die Kirche gerechtfertigt werden, war sicher nicht neu, und zwischen 1147 und 1149 wurden andere Krisengebiete zweifellos in das Umfeld des zweiten Kreuzzugs mit hineingezogen. Im Sommer 1147 kämpften im Ostseeraum sächsische und dänische Christen als Kreuzfahrer gegen ihre heidnischen Nachbarn, die Wenden. Noch deutlicher machte sich der Einfluss des zweiten Kreuzzugs auf der Iberischen Halbinsel bemerkbar. Eine Flotte von gut 200 Schiffen, besetzt mit Kreuzfahrern aus England, Flandern und dem Rheinland, setzte im Mai des Jahres 1147 von Dartmouth aus in Richtung Levante die Segel. Diese Schiffe legten einen Zwischenhalt in Portugal ein, wo sie am 24. Oktober den christlichen König Alfons I. dabei unterstützten, die von den Muslimen besetzte Stadt Lissabon zu erobern. König Alfons VII. von León-Kastilien engagierte sich mit der Unterstützung Genuas in einer weiteren christlichen Offensive, die ebenfalls den [234] Status eines Kreuzzugs hatte. Sie kulminierte im Oktober des Jahres 1147 in der Einnahme von Almería in Andalusien und im Dezember des Jahres 1148 in der Eroberung von Tortosa in Katalonien.
Christliche Soldaten unter dem Banner der Kreuzfahrer kämpften in den späten 1140er-Jahren an vielen verschiedenen Fronten, doch es wäre falsch anzunehmen, dass diese unterschiedlichen Stränge Bestandteil eines einzigen umfassenden Unternehmens gewesen wären, Elemente eines alles umgreifenden, gezielten Planes. Nimmt man die Ereignisse genauer unter die Lupe, dann wird klar, dass Zufall und unmanipulierte organische Entwicklungen am Werk waren. Der Zweig des zweiten Kreuzzugs an der Ostsee kam dadurch zustande, dass die Kirche einem bereits schwelenden Konflikt die Kreuzzugsidee überstülpte. Bei der Versammlung in Frankfurt im Mai 1147 gab eine sächsische Delegation Bernhard von Clairvaux zu verstehen, dass ihnen der Gedanke, ins Heilige Land zu ziehen, zutiefst widerstrebe. Stattdessen waren diese Männer damit beschäftigt, in größerer Nähe zu ihrer Heimat gegen ihre heidnischen Nachbarn, die Wenden, zu kämpfen. Der Abt bemerkte sehr bald, dass er die Sachsen nicht überreden konnte, an der Hauptunternehmung, dem Zug in den Vorderen Orient, teilzunehmen, doch war er des ungeachtet daran interessiert, die Macht und den Einfluss des Papstes auf die Ereignisse in Osteuropa auszudehnen. Daher bezog er diese Aktivitäten in die Kreuzzugssphäre ein und versprach den Beteiligten »dieselben geistlichen Privilegien, wie sie die erhalten, die nach Jerusalem ziehen«; und im April des Jahres 1147 erschien dann eine Bulle Eugens III., in der diese Zusage bestätigt wurde.
Auch die iberischen Schauplätze des zweiten Kreuzzugs müssen neu bewertet werden. Der Beitrag von Seiten der Kreuzfahrer zur Einnahme Lissabons war mit größter Wahrscheinlichkeit das Ergebnis einer spontanen Entscheidung, die Kämpfe in Portugal zu beenden. Die Feldzüge gegen Almería und Tortosa wurden wohl der Kreuzzugssache nachträglich zugeordnet. Die Teilnehmer aus Katalonien, Südfrankreich und Genua sahen sich offensichtlich auch als Kämpfer in einem heiligen Krieg, mit etlichen
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