Die Kreuzzüge
Zur Durchsetzung seiner Autorität verließ er sich auf brutale Gewalt und die Verbreitung von Angst und Schrecken. Im Lauf der Zeit jedoch zeigte es sich, dass Nur ad-Din neben seinem eisernen Durchsetzungswillen durchaus auch zu differenzierteren Formen der Machtausübung in der Lage war – angefangen bei politischen Absprachen bis hin zur Manipulation der öffentlichen Meinung. Er hatte dasselbe Ziel wie sein Vater: Er hoffte, Aleppo und Damaskus politisch vereinen zu können, zunächst jedoch war ihm daran gelegen, die Kooperation mit seinen Nachbarn im Süden Syriens wieder zu verbessern. Mit der Tochter Unurs von Damaskus wurde eine Ehe arrangiert. Der Emir brachte [254] außerdem seine Großherzigkeit dadurch zum Ausdruck, dass er einer jungen Sklavin die Freiheit schenkte, die Zangi im Jahr 1138 in Baalbek gefangen genommen hatte und von der es hieß, sie sei früher Unurs Geliebte gewesen. Nach Meinung eines muslimischen Chronisten war das »der wichtigste Grund für die Freundschaft zwischen [Nur ad-Din und dem Damaszener]«.
Während das Machtgleichgewicht nach Zangis Tod neu austariert wurde, versuchten Aleppo und Damaskus eine vorsichtige Annäherung. Unurs Autorität hatte nun, da er nicht mehr ständig mit einer Invasion von Seiten Zangis rechnen musste, erheblich zugenommen, und allmählich löste er sich aus der Abhängigkeit von den Franken. Als einer seiner Unterführer, Altuntasch von Bosra, im Frühjahr 1147 versuchte, sich von Damaskus abzuwenden und mit dem Königreich Jerusalem ein Bündnis zu schließen, schritt Unur energisch ein. Nur ad-Din begab sich in den Süden, um ihn zu unterstützen, und vereint schlugen sie die Lateiner zurück, die versucht hatten, Bosra zu besetzen. Dieser bemerkenswerte Erfolg verschaffte Unur die Anerkennung der rivalisierenden Kalifen von Bagdad und Kairo, beide schickten Ehrengewänder und Einsetzungsurkunden. Vor diesem Hintergrund scheint Damaskus und nicht Aleppo im Jahr 1147 die dominante muslimische Instanz in Syrien gewesen zu sein.
Den Sommer dieses Jahres verbrachte Nur ad-Din damit, seine Stellung im Norden zu festigen und Feldzüge zur Westgrenze zu Antiochia zu unternehmen. Dann jedoch drängten beunruhigende Nachrichten den Emir in die Defensive: Ein »unermessliches« lateinisches Heer »halte auf das Gebiet des Islams zu«; es hieß, so viele Christen hätten sich dieser riesigen Streitmacht angeschlossen, dass es im Westen keine Männer mehr gab, die das Land hätten verteidigen können. Diese Botschaften alarmierten Aleppo und seine muslimischen Nachbarn, und man bereitete sich auf den zweiten Kreuzzug und einen neuen Krieg vor. 6
WIDERSTAND GEGEN DEN KREUZZUG
In den folgenden sechs Monaten gelangten Berichte von den Widrigkeiten, die die deutschen und französischen Kreuzfahrer durchmachen mussten, allmählich auch in den Vorderen Orient. Ein Damaszener [255] erfuhr, dass in Kleinasien »sehr viele von ihnen zugrunde gingen«; sie »wurden umgebracht, starben an Krankheit oder Hunger«, und zu Beginn des Jahres 1148 verbreitete sich die Nachricht, dass Masud, der seldschukische Sultan von Anatolien, den Franken schwere Verluste beigebracht hatte. Für Nur ad-Din und Unur, die in Aleppo und Damaskus besorgt die Stellung hielten, dürften diese Berichte eine willkommene, wenn auch überraschende Erleichterung bedeutet haben. Ihre türkischen Nachbarn im Nordwesten, die in den letzten Jahrzehnten häufiger als Rivalen denn als Verbündete aufgetreten waren, hatten dem christlichen Kreuzzug einen entscheidenden Dämpfer versetzt, noch bevor er auch nur die Grenze zur Levante überschritten hatte.
Doch das hieß nicht, dass die Gefahr abgewendet war. In jenem Frühjahr trafen nach und nach die lateinischen Überlebenden (immer noch mehrere Tausend) in den Häfen Syriens und Palästinas ein. Nun stellte sich die Frage: Wo würden sie zuschlagen? Nur ad-Din rüstete Aleppo gegen einen Angriff; sein Bruder, Saif ad-Din, schickte im Sommer jenes Jahres Verstärkung von Mosul. Die fränkische Offensive jedoch, als sie dann schließlich im Juli des Jahres 1148 kam, richtete sich gegen Damaskus im Süden.
Als König Ludwig VII. von Frankreich in jenem März nach Antiochia kam, geriet er in eine Auseinandersetzung mit Raimund von Antiochia. Die Verwüstung Edessas vereitelte sämtliche Pläne auf eine sofortige Rückeroberung; stattdessen empfahl Raimund, einen Angriff auf Aleppo und Shaizar zu unternehmen. Es sprach viel für diesen Plan, mit dem
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