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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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eigentlichen Herrschers von Damaskus, übergab der kurdische Kriegsherr Ajjub ibn [252] Shadi die Stadt Baalbek und zog in die südsyrische Hauptstadt. Nur ad-Din behielt die Unterstützung des zangidischen Hauptmanns von Aleppo, Sawar, sowie die Rückendeckung durch den Bruder Ajjubs, Schirkuh, doch insgesamt gesehen waren die Erfolgsaussichten, ja sogar die Überlebenschancen des jungen Emirs äußerst bescheiden.
    Als Emir von Aleppo beherrschte Nur ad-Din eine der wichtigsten Städte im Vorderen Orient. Schon im 12. Jahrhundert blickte die Stadt auf eine fast unvorstellbar lange Geschichte zurück – schon seit mindestens 7000 Jahren hatten dort Menschen gelebt. Architektonisch beherrscht wurde die Stadt Nur ad-Dins von einer mächtigen Zitadelle, die sich auf dem Gipfel eines steilen, 50 Meter hohen natürlichen Hügels im Herzen der Stadt erhob. Ein zeitgenössischer Besucher schrieb, diese Festung sei »für ihre Unbezwingbarkeit bekannt, und da man sie wegen ihrer Höhe schon aus weiter Entfernung erblickt, ist sie mit keiner anderen Burg zu vergleichen« – selbst heute noch dominiert sie die Stadt. Die große Moschee von Aleppo, die sich etwas westlich von der Festung befindet, wurde um das Jahr 715 unter den Omajjaden gegründet; im späten 11. Jahrhundert fügten die Seldschuken ein markantes Minarett mit quadratischem Grundriss hinzu. Die Stadt hatte auch einen Ruf als Drehscheibe des Handels, sie beherbergte ein ganzes Netzwerk von überdachten souqs (Märkten). Aleppo war im 12. Jahrhundert vielleicht nicht die bedeutendste Stadt Syriens, aber ein Zentrum politischer, militärischer und wirtschaftlicher Macht und bot damit dem Emir die unerlässliche Plattform und den Ausgangspunkt für seine weitere Karriere. 4
    Im Jahr 1146, in der Zeit des chaotischen Machtvakuums nach Zangis Tod, musste Nur ad-Din vor allem seine Autorität unter Beweis stellen. Eine günstige Gelegenheit ergab sich sehr bald, als Eilnachrichten von einer plötzlichen Krise eintrafen. Der fränkische Graf von Edessa, Joscelin II., unternahm einen verzweifelten Versuch, seine Hauptstadt zurückzuerobern. An der Spitze einer eilig zusammengestellten Streitmacht marschierte er im Oktober des Jahres 1146 auf Edessa zu und durchbrach mit Unterstützung ihrer christlichen Einwohner nachts die äußeren Verteidigungsmauern. Die muslimische Besatzung floh in die stark befestigte Zitadelle, und nun war die Stadt von allen Seiten eingeschlossen.
    Nur ad-Dins Reaktion zeugt von großer Entschlusskraft: Er konnte nicht zulassen, dass Edessa an die Franken zurückfiel oder dass sein Bruder [253] Saif ad-Din seinen Einflussbereich westwärts ausdehnte. Er warb mehrere tausend Männer aus Aleppo und turkmenische Krieger an und begann dann einen Gewaltmarsch, der ihn ohne Pause in Windeseile nach Edessa brachte. Er war mit einer solchen Geschwindigkeit unterwegs, »dass die [muslimischen] Pferde am Straßenrand vor Übermüdung zusammenbrachen«. Das Tempo machte sich bezahlt. Joscelins Heer hatte weder genügend Kämpfer noch die notwendigen Belagerungsmaschinen, um die Zitadelle einzunehmen; seine Truppen hielten sich daher noch in der Unterstadt auf, als Nur ad-Din eintraf. Der Graf sah sich zwischen zwei feindlichen Kontingenten eingekeilt und ergriff – um den Preis enormer lateinischer Verluste – die Flucht. Nun, da Edessa zurückgewonnen war, beschloss der Emir, seine Unnachgiebigkeit und Willensstärke unzweideutig zu demonstrieren. Zwei Jahre zuvor hatte Zangi die orthodoxen Christen der Stadt verschont; jetzt aber, als Bestrafung dafür, dass sie die Franken unterstützt hatten, fegte Zangis Sohn und Erbe sie aus Edessa hinaus. Sämtliche Männer wurden getötet, Frauen und Kinder in die Sklaverei verschleppt. Ein muslimischer Chronist notierte, dass »die Existenz sämtlicher Christen mit dem Schwert vernichtet wurde«; ein schockierter syrischer Christ beschrieb, dass es in Edessa nach diesem Massaker »kein Leben mehr gab: Die Stadt bot einen entsetzlichen Anblick, sie war in eine schwarze Wolke gehüllt, ertrunken im Blut, infiziert von den Leichen ihrer Söhne und Töchter.« Die einst so dynamische Metropole sollte sich von diesem Schlag für lange Zeit nicht erholen; auf Jahrhunderte hinaus blieb sie Provinz. 5
    Die Erbarmungslosigkeit, mit der Nur ad-Din in Edessa zugeschlagen hatte, kam ihm bei der Festigung seiner Herrschaft über Aleppo sehr zustatten. Der Emir war bei dieser Gelegenheit dem Vorbild seines Vaters gefolgt:

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