Die Kreuzzüge
man den mächtigen Zangiden einen Schlag versetzen konnte, während Nur ad-Din noch damit beschäftigt war, seine Herrschaft über Nordsyrien zu sichern, doch der König verwarf das Vorhaben und brach sofort in südlicher Richtung nach Palästina auf. Über die Gründe für Ludwigs Entscheidung wurde viel gerätselt. Vielleicht fehlten ihm die Mittel, vielleicht trieb ihn die Frage um, was der deutsche König im Königreich Jerusalem vorhatte, und vielleicht wollte er seine eigene Pilgerreise nach Jerusalem vollenden. Der eigentliche Kern der Angelegenheit jedoch war wahrscheinlich eine skandalöse Liebesaffäre. Seit Ludwigs junge, charismatische Frau Eleonore von Aquitanien in Antiochia angekommen war, hatte sie sehr viel Zeit in der Gesellschaft ihres Onkels, Fürst Raimund, verbracht. Es kam das Gerücht auf, dass sich zwischen ihnen ein leidenschaftliches inzestuöses Verhältnis entsponnen habe. [256] Der gedemütigte, entsetzte Monarch sah sich gezwungen, seine Frau gegen ihren Willen aus der Stadt zu entfernen, was ihre Beziehung unwiderruflich zerrüttete und jegliche Hoffnung auf eine Kooperation zwischen Antiochia und den Kreuzfahrern zunichte machte.
Konrad war im April dieses Jahres im Heiligen Land angekommen, und im frühen Sommer vereinten sich die französischen und deutschen Truppen in Nordpalästina. Am 24. Juni fand in Akkon eine Ratsversammlung der führenden Kreuzfahrer und des Hofes von Jerusalem statt, um den weiteren Verlauf des Feldzugs zu besprechen, und man wählte Damaskus als neues Ziel. Wegen des gerade erst ausgehandelten Bündnisses der muslimischen Stadt mit den Franken in Palästina und ihrem Widerstand gegen die erstarkenden Zangiden wurde diese Entscheidung früher von Historikern als ein Akt nahezu unfassbarer Torheit interpretiert. Doch dieses Urteil wurde zu Recht korrigiert: Zangis Tod im Jahr 1146 hatte die Machtbalance im muslimischen Syrien entscheidend verändert. Früher war Damaskus für Jerusalem im Kampf gegen Aleppo lediglich eine gehorsame Marionette gewesen, doch bis zum Jahr 1148 hatte sich die Stadt zu einem wesentlich bedrohlicheren und aggressiveren Nachbarn entwickelt. Daher war es vernünftig, sie auszuschalten und zu erobern, und wenn die Stadt eingenommen war, konnte Outremer auf Dauer überleben. 7
Im Hochsommer des Jahres 1148 rückten die christlichen Könige aus Europa und von Jerusalem auf Banyas vor und marschierten dann weiter nach Damaskus. Unur versuchte nach Kräften, die Stadt abwehrbereit zu machen, er ließ die Verteidigungsanlagen verstärken und sammelte seine Truppen. Außerdem entsandte er Boten mit der Bitte um Hilfe an seine muslimischen Nachbarn, darunter auch an die Zangiden. Am 24. Juli näherten sich die Franken durch die dicht bewachsenen, üppig bewässerten Obstgärten südwestlich von Damaskus. Diese von niederen Lehmmauern umgebenen Haine erstreckten sich gut 8 Kilometer weit um die Stadt herum. Nur enge Pfade führten hindurch, und diese Haine dienten schon seit langem als eine erste natürliche Verteidigungslinie. Die Muslime versuchten alles, um den lateinischen Vormarsch aufzuhalten, sie machten einzelne Ausfälle, schossen von den Wachttürmen unaufhörlich Pfeilhagel herab und lagen hinter Bäumen in den Gärten auf der Lauer, doch der Feind rückte unerbittlich weiter vor.
Am Abend gelang es den Franken, auf der offenen Ebene vor der [257] Stadt ein Lager aufzuschlagen; von dort hatten sie Zugang zum Wasser des Flusses Barada. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Antiochia und Jerusalem vefügte Damaskus nicht über größere Befestigungsringe, sondern wurde lediglich durch eine niedrige äußere Mauer und das schwer zugängliche Dickicht seiner äußeren Randbezirke geschützt. Nun, da die Christen unmittelbar am Stadtrand lagerten, schien die Stadt schrecklich verwundbar. Unur befahl, die Straßen mit riesigen Barrikaden aus Holz und Geröll zu versperren, und um die Kampfmoral zu heben, wurde in der großen Moschee der Omajjaden eine große allgemeine Versammlung abgehalten. Einer der heiligsten Schätze von Damaskus, eine hochverehrte Abschrift des Korans, die einst einem frühen Nachfolger Mohammeds, dem Kalifen Uthman, gehört hatte, wurde der Menschenmenge gezeigt, »und die Leute streuten sich Asche aufs Haupt und flehten unter Tränen um Hilfe«.
Es folgten drei Tage verzweifelter Kämpfe: Die Muslime taten alles, um die Franken zurückzuhalten, und beide Seiten hatten schwere Verluste durch erbitterte
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