Die Kreuzzüge
gefunden werden. Damals scheinen Raimund III. von Tripolis und Bohemund III. von Antiochia – im Interesse ihrer eigenen Pläne und um die Sicherheit von Jerusalem auch weiterhin zu garantieren – die Absicht gehabt zu haben, Balduin IV. vom Thron zu verdrängen. Im Jahr 1180, um die Osterzeit herum, versuchten die beiden eine Aktion, die letztlich in einen Staatsstreich gemündet wäre, indem sie Sibylla zwangen, den von ihnen favorisierten Verbündeten, Balduin von Ibelin, zu heiraten, ein Mitglied der immer mächtiger werdenden Ibelin-Dynastie. Wäre diese Ehe zustande gekommen, dann wäre der Lepra-König ausgegrenzt gewesen; Balduin IV. aber war nicht bereit, sich seinen Einfluss auf die Nachfolge streitig machen zu lassen. Ermutigt von seiner Mutter Agnes und seinem Onkel Joscelin von Courtenay ergriff er die Initiative. Bevor Raimund und Bohemund ihren Einfluss geltend machen konnten, verheiratete der König seine Schwester mit dem ihm genehmen Kandidaten, Guido von Lusignan, einem adligen Ritter aus dem Poitou, der kürzlich in der Levante eingetroffen war.
Zum Teil war Balduins Wahl von den Umständen diktiert, denn Guido war damals in Palästina der einzige unverheiratete Mann von ausreichend hoher Geburt. Auch mag Guidos Verbindung mit dem Poitou – einer Region, über die der angevinische König Heinrich II. von England herrschte – eine Rolle gespielt haben: Da im kapetingischen Frankreich Unruhen herrschten, stieg Englands Bedeutung als möglicher Verbündeter. Dennoch kam Guidos Aufstieg zum führenden Politiker ebenso plötzlich wie unerwartet. Durch seine Vermählung mit Sibylla wurde Guido von Lusignan der designierte Erbe des Thrones von Jerusalem. Wenn es Balduin IV. aufgrund seiner Krankheit nicht mehr möglich war, weiterzuregieren, dann wurde von Guido auch erwartet, die Rolle des Regenten zu übernehmen. Die Frage war, ob Guidos plötzliche Erhebung andere führende Mitglieder des Hofes, darunter Raimund von Tripolis und die Ibelins, befremden oder verbittern würde. Guido hatte sich bislang weder als politischer oder militärischer Führer bewährt, noch war es ausgemacht, ob er seinen Ehrgeiz, selbst nach der Krone zu greifen, so lange zügeln konnte, wie Balduin IV. noch am Leben war und an seinem Amt festhielt. 6
[353] DER STACHEL LATEINISCHER AGGRESSION
Saladins Entscheidung, im Herbst 1183 einen Angriff auf das fränkische Palästina zu unternehmen, hatte ihren Grund nicht nur in dem Wunsch des Sultans, seine Eignung als Kämpfer im Dschihad unter Beweis zu stellen. In gewissem Ausmaß waren seine Angriffe auch eine Vergeltungsmaßnahme für die jüngsten lateinischen Übergriffe. Ende 1182, als der Sultan sich im Irak aufhielt, überfielen die Franken Gebiete in der Nähe von Damaskus und Bosra und eroberten die Cave de Sueth zurück.
Im Süden Transjordaniens unternahm Rainald von Châtillon ein offensichtlicheres kriegerisches Manöver; eine Aktion, auf die er sich, wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit dem König, ungefähr zwei Jahre lang vorbereitet hatte. Saladins Netz von Kundschaftern hatte bereits warnend gemeldet, dass der Herr von Kerak einen Angriff plante, aber der Sultan ging irrtümlich davon aus, dass die Gefahr an der Straße durch den Sinai drohte, die Ägypten mit Damaskus verband. Er hatte daher auch al-Adil aufgetragen, die Befestigungen am wichtigsten Sammelpunkt al-Arish zu verstärken. Rainalds Plan hingegen war viel kühner und hatte ganz andere Dimensionen, wenn er auch vielleicht vom strategischen Gesichtspunkt her weniger sinnvoll war. In den Wochen um den Jahreswechsel 1182/1183 wurden fünf in Kerak gebaute Galeeren, in Einzelteile zerlegt, auf dem Rücken von Kamelen zum Golf von Akaba transportiert, dort zusammengebaut und im Roten Meer zu Wasser gelassen. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten bewegten sich Schiffe von Christen auf diesen Gewässern. Rainald teilte dann seine Flotte auf: Zwei Schiffe blockierten den Hafen von Akaba, der sich in der Hand der Muslime befand; er selbst griff von Land aus an. Die drei übrigen Galeeren wurden in den Süden geschickt, sie waren mit arabischen Navigationsspezialisten und Soldaten bemannt. Offenkundig kamen Nachrichten über die außerordentlichen Abenteuer dieser kleinen, aus drei Schiffen bestehenden Flottille nie bei den Franken an. Eine einzige lateinische Quelle vermeldet, dass nach ihrem Auslaufen »nichts mehr von ihnen vermeldet wurde, und keiner weiß, was aus ihnen wurde«; und Rainald kehrte wieder
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