Die Kreuzzüge
sich sein Auftreten und seine Haltung von Grund auf: Er zeigte sich der Königswürde durchaus gewachsen und verhielt sich deutlich besonnener und reifer. Beim Besuch der Abteikirche von Fontevraud, wo sein Vater aufgebahrt lag, zeigte er offenbar nicht den geringsten Anflug von Trauer. Im Sommer jenes Jahres belohnte er demonstrativ nicht nur seine eigenen Gefolgsleute, wie etwa André de Chauvigny, sondern auch andere, die Heinrich II. die Treue gehalten hatten, beispielsweise den berühmten Ritter William Marshal. Andere hingegen, die sich in den letzten Monaten von dem alten König abgewandt hatten, wurden weniger reich beschenkt.
Richards Thronbesteigung brachte außerdem eine fundamentale Veränderung seiner Beziehung zu Philipp II. August mit sich. Als Verbündete hatten sie Heinrich II. besiegt. Nun nahm Richard die Position des Herrschers über das angevinische Reich ein, womit sie sich als Feinde gegenüberstanden. Vermehrt wurde das Hasspotential durch den Rangunterschied zwischen Philipp August und Richard. Es waren nur noch wenige Tage bis zu Richards 32. Geburtstag, als er König wurde, und er war sechs Jahre älter als Philipp August. Aber er war ein Neuling auf dem Thron, wohingegen der junge Kapetinger, der den Königstitel schon seit fast einem Jahrzehnt trug, über beträchtlich mehr Erfahrung verfügte. Als gekrönte Herrscher waren sie sich ebenbürtig, faktisch jedoch herrschte Richard über das mächtigere Reich, auch wenn er offiziell – für die angevinischen Territorien wie die Normandie, Anjou und Aquitanien – Philipp Augusts Lehnsmann war. Sie waren außerdem charakterlich recht verschieden, Richard tatendurstig und ein Mann des Krieges, was politischen Scharfsinn nicht ausschloss; Philipp August dagegen konzentrierte sich stärker auf seinen Einsatz für die Krone der Kapetinger und handelte geschickter und vorsichtiger.
Seit dem Sommer 1189 stellte sich dann für beide Herrscher die entscheidende [416] Frage: Wann würden sie sich zum Kreuzzug in Bewegung setzen? Kein König wollte sein Land verlassen, ohne dass ihm der andere einen Waffenstillstand zugesichert hatte und ein genau koordinierter, gleichzeitiger Aufbruch organisiert war. Es verstrich dann letztlich der größte Teil eines weiteren Jahres, bevor sie ihre Reise antraten. Zahlreiche französische Kreuzfahrer, darunter Jakob von Avesnes und Heinrich von Champagne, waren bereits aufgebrochen.
Der Zeitverlust durch Rivalität und Streitigkeiten hatte natürlich starken Einfluss auf den Verlauf des dritten Kreuzzugs, und es liegt nahe, den beiden Königen vorzuwerfen, sie hätten im höheren Interesse der Christenheit und des Kreuzzugs ihre Differenzen zurückstellen sollen. In Wahrheit brachten Richard und Philipp August noch Opfer genug und nahmen große Risiken auf sich, um im heiligen Krieg mitkämpfen zu können. Als neu gekrönter König, dessen Stellung durch Johann, den machtgierigen jüngeren Bruder, bedroht war, hätte Richard gute Gründe gehabt, im Land zu bleiben und seine Macht zu sichern. Stattdessen ließ er sich auf einen nicht ungefährlichen Balanceakt ein: Als er – wohl wissend, für lange Zeit – in den Orient aufbrach, übertrug er Personen aus seinem Gefolge, denen er trauen konnte, die Aufgabe, das angevinische Reich zu bewachen und zu schützen, darunter seiner Mutter Eleonore von Aquitanien und Wilhelm von Longchamp. Außerdem verließ er sich auf einen nahezu ununterbrochenen Strom von Briefen, die ihn über die Ereignisse in Europa auf dem Laufenden hielten. Philipp August hätte seinerseits seine Teilnahme am Kreuzzug im März des Jahres 1190 zurückziehen können, als seine Frau mit den Zwillingen, die sie geboren hatte, im Kindbett starb. Wie nun die Nachfolge in der kapetingischen Dynastie geregelt werden sollte, war völlig offen – der dreijährige Sohn Ludwig war der einzige noch mögliche Erbe –, und dennoch verließ Philipp August sein Land.
VORBEREITUNGEN: FINANZEN UND LOGISTIK
Es mag seine Zeit gedauert haben, bis beide aufbrachen, jedenfalls hatten sie ihre Unternehmung akribisch und umfassend vorbereitet. Das hatte zur Folge, dass Richard I. Europa an der Spitze des am besten organisierten und finanzierten Kreuzfahrerheers des 12. Jahrhunderts verließ. [417] Kurz nachdem sie im Januar 1188 das Kreuz genommen hatten, erhoben Heinrich II. und Philipp August sowohl in England als auch in Frankreich eine eigene Kreuzzugssteuer, mit der dieser Kreuzzug finanziert werden sollte.
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