Die Kreuzzüge
und Geld, mit der die Stadt auf Monate hinaus hätte versorgt werden können, war verloren. Dann, am 5. Januar 1191, brach während schwerer Regenfälle eine Außenmauer von Akkon zusammen, und die Stadt stand plötzlich schutzlos offen gegen mögliche Angriffe. Die von Hunger und Seuchen gequälten Kreuzfahrer waren außerstande, diese Situation auszunutzen, und Saladins Männer füllten die Bresche umgehend wieder auf, doch insgesamt waren es böse Vorzeichen für den Islam. Die unguten Vorahnungen des Sultans häuften sich, und er war bemüht, die Verteidigungssituation in Akkon zu verbessern. Abu’l Haija der Dicke wurde seines Amtes als militärischer Oberbefehlshaber des Hafens am 13. Februar enthoben und durch al-Mashtub ersetzt, während Qaragush als Statthalter im Amt blieb. Auch die erschöpften Truppen der Garnison wurden ersetzt, was allerdings Saladins Sekretär Imad ed-Din später kritisierte: Er gibt an, dass eine große Truppe von 20 000 Mann und 60 Emiren gegen lediglich 20 Emire und wesentlich weniger Männer ausgetauscht wurde, weil Saladin nur Freiwillige als Garnison in die Stadt schicken wollte.
Die Niedergeschlagenheit des Sultans wird in einem Brief offensichtlich, den er im selben Monat an den Kalifen schreiben ließ. Darin sprach er warnend von der Möglichkeit, dass der Papst an der Spitze der Kreuzfahrer kommen könnte, und er beklagte, dass die Anführer von muslimischen Truppen, die aus den entfernteren Regionen des Vorderen Orients zusammengezogen wurden, gleich bei ihrer Ankunft in Akkon wissen wollten, wann sie wieder gehen könnten. Gleichzeitig nahmen die Probleme wegen der großen Ausdehnung seines Herrschaftsgebiets zu, während er selbst im Kampf um Akkon festgehalten wurde. Im März gab Saladin endlich widerwillig Taqi ad-Dins wiederholten Bitten statt, zum Herrscher über die Städte Harran und Edessa im Nordosten ernannt zu [460] werden. Der Sultan konnte schlecht auf den Beistand seines Neffen im Dschihad verzichten, aber er brauchte auch jemanden, der die Kontrolle über die Region am oberen Euphrat in der Hand behielt, andernfalls riskierte er den Zerfall seines Reiches. 28
Im April 1191 schien es für Saladin und Akkon kaum mehr Hoffnung zu geben. Eineinhalb Jahre lang hatte die Belagerung der Stadt durch die Kreuzfahrer den Sultan praktisch zur Unbeweglichkeit verurteilt; es war ihm nicht möglich gewesen, seine Siege von 1187 zu nutzen, und eine defensive Strategie wurde ihm geradezu aufgezwungen. Er hatte versucht, die Flutwelle rachedurstiger Kreuzfahrer abzuwehren, die aus Westeuropa an die Küsten Palästinas anbrandete, und er war gescheitert. Der plötzliche Tod Friedrich Barbarossas im Juni 1190 war zwar ein höchst willkommener Zwischenfall gewesen, aber in Akkon selbst, angesichts eines offensichtlich unbezwingbaren fränkischen Feindes, war Saladin vom Glück entschieden weniger begünstigt. Akkon hielt zwar stand, aber dasselbe galt für das Heer der lateinischen Belagerer. Die Kreuzfahrer waren niedergestreckt, aber nicht vernichtet, und sie hatten eine gewaltige kriegerische Leistung vollbracht: Tief in feindlichem Gebiet hatten sie eine Belagerung durchgehalten, während sie gleichzeitig selbst von den Truppen des Feindes bedrängt wurden.
Einen wichtigen positiven Aspekt hatte Saladins Umgang mit dem titanischen Kampf vor Akkon. Zum ersten Mal im Krieg um das Heilige Land war er einer langwierigen militärischen Konfrontation nicht ausgewichen, er hatte vielmehr über eineinhalb Jahre hinweg und zwei bittere Winter lang eiserne Willenskraft bewiesen. Doch trotz aller Widrigkeiten, mit denen der Sultan konfrontiert war, verdient seine Unfähigkeit, die Christen zwischen 1189 und 1191 zu vernichten, herbste Kritik. Denn er muss gewusst haben, dass die ganze fränkische Streitmacht, die sich vor Akkon zusammengefunden hatte, und die gesamte Waffengewalt, die gegen Akkons Mauern gerichtet wurde, nur ein harmloses Rumoren vor dem eigentlichen Erdbeben war, das unweigerlich ausbrechen musste, sobald die Könige von England und Frankreich eintrafen. Trotzdem fehlte ihm die für entschiedenes Handeln notwendige Entschlusskraft und Weitsicht. Nun, da das Einfallstor zum Heiligen Land offen stand, sollte der Islam den Kreuzzugszorn der lateinischen Christenheit mit voller Wucht zu spüren bekommen.
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[461] DIE ANKUNFT DER KÖNIGE
A ls König Richard I. von England am Morgen des 8. Juni 1191, einem Samstag, auf seinem Schiff an der Küste Palästinas entlang
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