Die Kreuzzüge
fränkischen Angriff hin entwickelten, und König Philipp August »hätte ohne weiteres die Stadt einnehmen können, wenn er es gewollt hätte«, doch habe er beschlossen, Richards Ankunft abzuwarten, damit er sich mit ihm den Sieg teilen konnte. Das mag übertrieben klingen, und Philipp August dürfte zu solcher Großmut wohl auch schwerlich in der Lage gewesen sein; andererseits ist es auch zu einfach, geblendet vom Glanz der Löwenherz-Legende zu vergessen, dass es der Kapetinger und nicht der Anjou war, der als erster dem dritten Kreuzzug Zuversicht und neues Leben einhauchte. 3
RICHARD LÖWENHERZ VOR AKKON
Dennoch war es Richards grandiose, dramatische Landung in Akkon am 8. Juni, die die militärische Machtbalance dann zugunsten der Lateiner verschob. Ein muslimischer Augenzeuge stellte folgenden Vergleich zwischen den beiden christlichen Monarchen an: »Der englische König hatte reiche militärische Erfahrung und war ein unerschrockener Kämpfer, doch in ihren Augen hatte er nicht ganz den königlichen Rang wie der König von Frankreich, obwohl er reicher und als mutiger Kämpfer berühmter war.« Mit Richard Löwenherz trafen im Vorderen Orient viele der mächtigsten Edelleute Englands und der Normandie ein – darunter Robert IV., Earl von Leicester, und Roger von Tosny –, die über ausgedehnte Territorien beiderseits des Ärmelkanals herrschten. Außerdem begleitete ihn ein innerer Kreis von familiares , Ritter aus seinem persönlichen Gefolge, mit so unerschrockenen, loyalen Kriegern wie Andreas von Chauvigny. 4
[466] Richard kam mit mehr Gefolgschaft, ungleich viel reicheren finanziellen Mitteln und einer viel größeren Seestreitmacht ins Heilige Land als Philipp August. Tatsächlich hatte er an der Spitze der 25 Schiffe, die seiner Flotte als Vorhut voraussegelten, sogar schon seinen ersten militärischen Erfolg gegen Saladin errungen, noch bevor er auch nur einen Fuß auf das levantinische Festland gesetzt hatte. Richard segelte von Tyros aus in südlicher Richtung auf Akkon zu, als er auf der Höhe von Sidon den Weg eines riesigen muslimischen Proviantschiffs kreuzte. Dieses kam aus dem ajjubidischen Beirut, es beförderte sieben Emire, 700 Elitesoldaten, Nahrungsmittel, Waffen und viele Behälter mit griechischem Feuer, außerdem 200 »hochgiftige Schlangen«, die »[die Muslime] auf das Heer [der Christen] loslassen wollten«. Während einer Flaute gelang es Richard, dieses Schiff einzuholen; die muslimische Besatzung versuchte zwar, als Franken verkleidet unbeschadet davonzukommen, doch Richard durchschaute den Trick und griff an. Er stieß auf erbitterten Widerstand, und da es nicht gelang, das Schiff zu entern und unversehrt zu übernehmen, ließ Richard es versenken, damit die kostbare Last nicht bei den Feinden ankam. Für den demoralisierenden Effekt seines Sieges sorgte Richard, indem er einen einzigen Gefangenen verstümmeln ließ und mit der Nachricht von der Katastrophe nach Akkon schickte.
Als Richard am Ort der Belagerung eintraf, schlug er sein Lager im Norden der Stadt auf; Philipp August hatte eine Stellung östlich der Stadt bezogen. Umgehend begann Richard, die Lage zu analysieren, er untersuchte, »wie die Stadt so schnell wie möglich eingenommen werden konnte und welche Mittel, welche Kriegslisten und welche Belagerungsmaschinen einzusetzen waren«. Dann jedoch, als er die letzten Vorbereitungen für den Kampf traf, kaum eine Woche nach seiner Ankunft, wurde er durch eine Krankheit außer Gefecht gesetzt. In deutlichem Kontrast zu seinem Triumph zur See und dem Glanz seiner Ankunft fand er sich tagelang aufs Krankenlager geworfen, heimgesucht von einer Skorbut-ähnlichen Krankheit, damals Arnaldia genannt; Zähne und Fingernägel begannen sich abzulösen, und das Haar fiel ihm büschelweise aus. Das muss für ihn eine schreckliche Erniedrigung gewesen sein, nicht zuletzt, weil Krankheit so leicht als Strafe Gottes gedeutet werden konnte. In Saladins Lager wurde die Not des Königs als Segen begrüßt, denn sie »raubte [den Franken] den Mut zum Angriff«. Doch selbst auf dem Krankenlager [467] ließ Richard sich nicht davon abhalten, die Sache der Kreuzfahrer voranzutreiben. 5
Er hatte sich sofort bemüht, diplomatische Kontakte zu Saladin zu knüpfen, womit er eine Raffinesse zeigte, die seinen Ruf eines rauhbeinigen Kämpfers Lügen zu strafen scheint. Seine Erfahrungen im Abendland hatten ihn gelehrt, dass nur dem der Sieg beschieden war, der die Kunst politischen
Weitere Kostenlose Bücher