Die Kreuzzüge
südwärts fuhr, erhielt er einen ersten Eindruck von dem furchteinflößenden Schauspiel der Belagerung von Akkon. Die Türme und Mauern der Stadt tauchten auf, dann die gedrängten Reihen Zehntausender Kreuzfahrer, die »aus jeder christlichen Nation unter dem Himmel« zusammengekommen waren: »die Blüte der Welt«, die sich um ihre Beute scharte. Schließlich »sah er die Abhänge und Berge, die Täler und Ebenen, auf denen es nur so wimmelte von Türken und Zelten und Männern, deren Herzen erfüllt waren von dem Wunsch, dem Christentum zu schaden«, und mitten unter ihnen Saladin. Dreieinhalb lange Jahre, nachdem Richard das Kreuz genommen hatte, war er endlich im Heiligen Land angekommen. Die Franken begrüßten sein Erscheinen mit einer stürmischen Jubelfeier. Ein Mann aus Richards Heer schrieb über die Festlichkeiten jenes Abends:
Groß war die Freude, und die Nacht war klar. Ich glaube nicht, dass je der Sohn einer Mutter einen solchen Jubel erlebte oder davon gehört hat, wie ihn das Heer über die Anwesenheit des Königs zum Ausdruck brachte. Glocken und Trompeten erklangen. Schöne Lieder und Balladen wurden gesungen. Alle waren voller Hoffnung. Es brannten so viele Feuer und Kerzen, dass es den Türken im gegnerischen Heer so vorkam, als würde das Tal in Flammen stehen.
Im Lager Saladins beschrieb einer der Berater des Sultans, dass
[. . .] der verfluchte König von England mit gewaltigem Pomp daherkam, an der Spitze von 25 Schiffen voller Männer, Waffen und [462] Vorräte [. . .] er war klug und erfahren, und seine Ankunft löste in den Herzen der Muslime Grauen und Furcht aus.
Da war er: Richard Löwenherz. 1
DIE REISE INS HEILIGE LAND
Richard hatte bereits vor seiner Ankunft im Vorderen Orient einen bedeutenden Sieg errungen. Die Kreuzfahrerheere von Frankreich und England verließen Sizilien im Frühjahr 1191. Philipp II. August segelte am 20. März von Messina ostwärts und traf einen Monat später in der Levante ein. Richard I. dagegen nahm am 10. April mit einer Flotte, die auf mehr als 200 Schiffe angewachsen war, Kurs auf Kreta. Nach drei Tagen jedoch wurden 25 dieser Schiffe von einem Sturm nach Zypern abgetrieben, der Insel, die seit dem Jahr 1184 als unabhängiges griechisches Territorium unter der Herrschaft des byzantinischen Kaisers Isaak Komnenos stand. Auf einem dieser Schiffe reisten auch Johanna, Richards Schwester, und seine Verlobte Berengaria mit. Drei Schiffe erlitten vor der Insel Schiffbruch, und diejenigen, die an Land gingen, wurden von den Einheimischen ausgesprochen feindselig empfangen. Man versuchte sogar, die beiden lateinischen Fürstinnen gefangen zu nehmen, deren Schiff in der Nähe von Limassol an der Südküste vor Anker lag.
Nach seiner Ankunft auf Rhodos um den 22. April erfuhr König Richard von diesen Zwischenfällen und beschloss, Zypern umgehend vom Meer aus anzugreifen, ungeachtet der Tatsache, dass die Insel christliches Territorium und er selbst ein Kreuzfahrer war. Er landete am 5. Mai in einem kühnen Manöver am Strand von Limassol und schlug die Truppen Isaaks schnell zurück. Sie waren gezwungen, sich an die Ostküste nach Famagusta zurückzuziehen. In der anschließenden Kampfpause wurden Richard und Berengaria am 12. Mai in der Kapelle des heiligen Georg in Limassol getraut.
Isaak unterbreitete dann einige halbherzige Friedensangebote, doch Richard segelte nach Famagusta weiter, besiegte die Griechen auch in einer zweiten Schlacht und machte sich dann mit bemerkenswerter Effizienz an die Unterwerfung der gesamten Insel. Am 1. Juni ergab sich [463] Isaak und wurde sofort mit eigens angefertigten silbernen Ketten gefesselt (Richard hatte ihm nämlich zuvor versprochen, ihn nicht in Eisen schlagen zu lassen).
Richard begann also seinen Kreuzzug gleich mit einem größeren Sieg, der nur den kleinen Schönheitsfehler hatte, dass er über Mitchristen errungen wurde. Durch die Eroberung Zyperns und die damit verbundenen Ressourcen profitierte das angevinische Heer reichlich. Der König erhob eine 50-prozentige Steuer auf die Bevölkerung von Zypern und verkaufte die Insel dann wenige Wochen nach seiner Abreise für 100 000 Gold-Bezant an die Templer (allerdings erhielt er von dieser Summe nie mehr als eine erste Anzahlung in Höhe von 40 000 Gold-Bezant). Die Insel diente während des gesamten Kreuzzugs als wertvoller Stützpunkt. Die lateinische Besetzung Zyperns beeinflusste die Geschichte der Kreuzzüge und der Kreuzfahrerstaaten
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