Die Kreuzzüge
kanalisieren.
Im Unterschied dazu sah die Realität Saladins wesentlich düsterer aus. 21 Monate lang hatte er sich ausschließlich der Verteidigung Akkons gewidmet und sämtliche Ressourcen seines riesigen Reiches in den Dienst dieser einen Aufgabe gestellt. Zuvor hatte er sich immer geweigert, sich im Dschihad auf die zermürbende Mühsal einer Belagerung einzulassen. Hier jedoch, in Akkon, hatte er durchgehalten. Und angesichts der scheinbar immer gleichen Größe des Kreuzzugsheers war der Sultan gescheitert. In entscheidenden Momenten – vor allem im Herbst 1189 und im Sommer 1190 – hatte er die notwendige entschiedene Führungsautorität vermissen lassen. Körperlich war er durch wiederholte Krankheiten geschwächt. Während der gesamten Belagerungszeit hatte er mit der Aufgabe gerungen, ausreichend Männer und Materialien zur Verfügung zu haben. Er konnte die Bedürfnisse in seinem Reich nicht vernachlässigen; er musste Syrien gegen die Deutschen sichern; immer wieder wurde seine Aufmerksamkeit also von den Aktivitäten in Akkon abgezogen. Und ständig war er damit beschäftigt, eine muslimische Welt wachzurütteln, die von dem langjährigen heiligen Krieg schon völlig erschöpft war.
Hinsichtlich der Verluste an Menschenleben, ja selbst der strategischen Bedeutung Akkons als Hafen fiel diese Niederlage nicht allzu sehr ins Gewicht. Ganz anders verhielt es sich mit Saladins Ansehen als Kriegsherr, mit seinem Ruf als siegreicher Vorkämpfer des Islams: Dieser hatte unermesslichen Schaden erlitten. Es war seine mit so viel Engagement kultivierte Aura frommer Unbesiegbarkeit gewesen, die den Islam geeint hatte, und der Mythos von Salah ad-Din an-Nasir (der Verteidiger), des idealisierten Mudschahid, hatte seine Truppen auf dem Schlachtfeld angefeuert. Die Brüche in dieser Fassade reichten daher tief. Inmitten des »Schreiens, des Ächzens, des Jammerns und Klagens« seiner erschütterten Gefolgschaft befahl Saladin einen allgemeinen Rückzug nach Saffaram, um dort sein Ansehen neu aufzubauen und über die Schritte nachzudenken, die für eine Racheaktion erforderlich waren. 16
[481] DER EINZIGE KÖNIG
Nur wenige Tage nach der Eroberung Akkons wandelte sich die Rolle Richards Löwenherz im Rahmen des dritten Kreuzzugs grundlegend. Er hatte das Abendland als soeben gekrönter König verlassen, der Philipp August zwar an Alter, Reichtum und militärischer Macht überlegen war, aber sich immer wieder damit abfinden musste, im Schatten des Kapetingers zu agieren. Mitte Juli 1191 kamen allerdings Gerüchte auf, Philipp August beabsichtige, das Heilige Land zu verlassen. Am 22. Juli, nachdem Richard vorgeschlagen hatte, eine gemeinsame Erklärung herauszugeben, mit der versichert werden sollte, dass die beiden Herrscher drei Jahre lang im Osten zu bleiben gedachten oder so lange, bis Jerusalem wieder erobert war, deckte der König von Frankreich seine Karten auf. Er sah mit der Eroberung Akkons sein Kreuzfahrergelübde als erfüllt an und wollte nun so schnell wie möglich nach Frankreich zurückkehren. »Um Gottes Willen! Welch eine Wendung!«, so der schriftlich festgehaltene Stoßseufzer eines Kreuzfahrers.
Es ist nicht leicht, die Motive auszumachen, die hinter dieser plötzlichen Entscheidung stehen, weil die zeitgenössischen Quellen nur so wimmeln von parteiischen, also widersprüchlichen Mutmaßungen. Einige behaupten, Philipp August sei ernsthaft krank gewesen; Richard habe das üble Gerücht in die Welt gesetzt, der Sohn und Erbe des Kapetingers sei gestorben; oder der feige König von Frankreich habe schnöde den Kreuzzug abgebrochen und seine Truppen mittellos zurückgelassen. In Wahrheit hat wohl vor allem eine Erwägung die Pläne Philipp Augusts beeinflusst: Er war in erster Linie König und erst in zweiter Linie Kreuzfahrer. In einem heiligen Krieg zu kämpfen mochte Gott wohlgefällig sein, und Philipp August war auch durchaus bereit, seine Rolle in diesem Kampf zu übernehmen. Sein eigentliches Streben aber galt ausschließlich der Bewahrung, der Führung und der Vergrößerung seines Königreichs. Und es eröffnete sich ihm hier nun eine Gelegenheit, die er nicht vorübergehen lassen konnte: Graf Philipp von Flandern war im Juni in Akkon gestorben und hinterließ dem König einen Teil seiner Grafschaft, die fruchtbare Region Artois. Um sich diesen wertvollen Zugewinn zu sichern, war es notwendig, dass der Souverän sich im eigenen Land aufhielt, und so ist es verständlich, dass Philipp
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