Die Kreuzzüge
später ein Versepos über diesen Kreuzzug in altfranzösischer Sprache. Bei ihm wird dieser 7. September 1191 als ein Tag beschrieben, der ganz im Zeichen der Konfrontation stand; ein glanzvoller Tag des Sieges von geradezu homerischen Ausmaßen. Sein Held Richard Löwenherz fasst in der Darstellung von Ambroise selbst den Entschluss, Saladin anzugreifen. Als hätte er seherische Fähigkeiten, erkennt der König, »dass es nicht möglich war, ohne eine Schlacht weiterzumarschieren«, und er plant deshalb, die mächtigste Waffe der Christen – die Gruppe der schwer bewaffneten Ritter – in dem Moment gegen den Feind einzusetzen, wenn die Kampfkraft von Saladins Heer erkennbar nachließe. Alles hing dabei vom richtigen Zeitpunkt ab; da aber im Mittelalter eine Verständigung auf dem Schlachtfeld nur sehr begrenzt möglich war, musste Richard sich auf akustische Signale stützen, um die Attacke zu befehlen. Ambroise beschreibt, dass »sechs Trompeten an drei verschiedenen Punkten in der Armee postiert wurden, die ein Signal geben sollten, wenn der Augenblick für den Angriff gegen die Türken gekommen war«.
Ambroise’ Darstellung der Ereignisse bei Arsuf war ungeheuer einflussreich, oft übernommen von Zeitgenossen und immer erneut wiederholt von modernen Historikern. Das epische Bild jenes Samstagmorgens an der Küste Palästinas, das diese Beschreibung liefert, hat sich weitgehend durchgesetzt: wie sich das blitzende Heer der Kreuzfahrer in Marsch setzt, wie sich die Truppen auf den kommenden Kampf vorbereiten, eigentlich nichts anderes mehr im Sinn haben, einem angelegten Pfeil gleich, der an der gespannten Sehne bebt, bereit, jeden Augenblick abgeschossen zu werden. Doch so detailfreudig, farbig und verführerisch Ambroise’ Schilderung ist, so wird sie doch durch andere Augenzeugen widerlegt. Das wichtigste dieser Zeugnisse ist ein Brief, den die Historiker [504] sträflich unterschätzten, ein Brief von König Richard I. selbst. Dieses Schreiben, eine Botschaft direkt von der Front an Garnier von Rochefort, den Abt der Zisterzienserabtei Clairvaux, wurde nicht, wie Ambroise’ Versfassung, gut sechs Jahre später verfasst, sondern nur drei Wochen nach der Schlacht von Arsuf, am 1. Oktober 1191. Die Ereignisse des 7. September werden darin nur kurz, fast nebenbei erwähnt, was darauf schließen lässt, dass Richards Hauptinteresse an diesem Tag darin bestand, in die relative Sicherheit der Außenbezirke von Arsuf zu gelangen, nicht aber, eine endgültige Entscheidung in der Auseinandersetzung mit Saladin herbeizuführen.
Im Zeitalter der Kreuzzüge waren offene Schlachten ausgesprochen selten. Die damit verbundenen Risiken und der unkalkulierbare Zufall veranlassten kluge Feldherren, den offenen Konflikt nach Möglichkeit zu vermeiden, wenn ihr Heer nicht in erdrückender Überzahl antrat. Richard wollte in dieser Phase des Kreuzzugs vor allem in Jaffa ankommen und von dort aus Askalon und Jerusalem bedrohen. Wäre es ihm wirklich um eine Entscheidungsschlacht gegen Saladin gegangen, solange dieser militärisch ebenbürtig oder gar überlegen war und den Ort der Schlacht selbst bestimmen konnte, dann hätte er damit das Schicksal des gesamten heiligen Krieges aufs Spiel gesetzt und vom Zufall wie von einem Würfelwurf abhängig gemacht. Vielleicht (sein Brief gibt dazu keine Auskunft) bereitete der König seine Soldaten auf eine Schlacht bei Arsuf vor – für den Fall, dass ihm nichts anderes übrigblieb –, doch es gibt einen signifikanten, wenn auch subtilen Unterschied zwischen der Vorbereitung auf einen Waffengang und der Absicht, ihn wirklich zu betreiben.
Für Saladin dagegen war eine Entscheidungsschlacht unumgänglich. Angesichts des offenbar unaufhaltsamen Vormarschs der Christen war ihm eines völlig klar: Wenn er nicht umgehend handelte, dann war er binnen weniger Tage gezwungen, in erbärmlicher Ohnmacht mit anzusehen, wie Richard Löwenherz Jaffa erreichte. So unmittelbar nach der Niederlage von Akkon wären die strategischen und politischen Folgen verheerend gewesen, die islamische Herrschaft über Palästina wäre ins Wanken geraten und sein eigenes Ansehen als Mudschahid nachhaltig beschädigt. Die Franken mussten hier aufgehalten werden, auf der staubigen Ebene von Arsuf. Baha ad-Din konstatierte nüchtern: »[Der Sultan war] fest entschlossen, den Feind an diesem Tag in offener Schlacht zu stellen.« 9
Als die Kreuzfahrer sich kurz nach der Morgendämmerung vom Fluss [505] Rochetaille
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