Die Kreuzzüge
unruhigen Schlafes zu verschaffen.
Was es ihnen jedoch vor allem ermöglichte, angesichts der ständigen Bedrohung ihre Fassung zu bewahren, war die unermüdliche Anwesenheit von Richard Löwenherz, der immer wieder Beistand leistete, keine Anstrengung und keinen Kampf scheute und immer bereit war, die Truppen moralisch aufzurichten. Er legte offenbar großen Wert darauf, die Stimmung seiner Soldaten ständig im Auge zu behalten und mit allen Mitteln zu verhindern, dass er ihr Durchhaltevermögen zu stark belastete. Anfang September, als es zu Versorgungsengpässen kam, brachen Streitigkeiten aus. Fußsoldaten sammelten sich um die Überreste der »fettesten toten Pferde« herum, die im Lauf des Tages im Kampf umgekommen waren, und sie prügelten sich um das Fleisch, was die Ritter, denen die Rösser gehört hatten, aufs äußerste empörte. Der König trat dazwischen und versprach, er werde jedes Pferd ersetzen, wenn man das Fleisch des Tieres »tapferen Kämpfern« überließ. Die dankbaren Franken »aßen [das] Pferdefleisch, als wäre es Wild. Sie hielten es für eine [500] wahre Köstlichkeit, auch wenn es nur vom Hunger und nicht mit Sauce gewürzt war.« 6
Natürlich war die Kehrseite von Richards segensreicher Omnipräsenz ein beträchtliches Risiko. Als sie am 3. September vom Toten Fluss aus weitermarschierten, zwang ein »unwegsamer« Abschnitt an der Küste die Kreuzfahrer, sich ein Stück weit landeinwärts zu bewegen. Saladin hatte auf diesen Augenblick gewartet, um einen Kampf zu eröffnen; er selbst führte drei Abteilungen gegen die dicht gedrängten Reihen der Kreuzfahrer. Wieder und wieder beschossen die Muslime die Christen mit Pfeilen und griffen sie dann direkt an. Baha ad-Din beobachtete den Ansturm:
Ich sah tatsächlich Saladin unter den Angreifern reiten, und die Pfeile der Feinde umschwirrten ihn. Er wurde lediglich von zwei Dienern mit zwei Ersatzpferden begleitet, und er ritt von Abteilung zu Abteilung, drängte sie vorwärts, befahl ihnen, den Feind hart zu bedrängen und in einen Kampf zu verwickeln.
Der Sultan kam unverletzt davon, im Gegensatz zu Richard: Da er sich wie immer mitten im Schlachtgetümmel aufhielt, wurde er plötzlich vom Geschoss einer Armbrust in die Seite getroffen. Glücklicherweise gelang es ihm, trotz der Kämpfe, die um ihn herum tobten, im Sattel zu bleiben: Seine Rüstung hatte die größte Wucht des Geschosses abgefangen, und »er war nicht ernsthaft verletzt worden«. Doch wirft die Episode ein Licht auf die zwar notwendigen, aber auch gewaltigen Risiken, die er als der mittelalterliche Krieger-König auf sich nahm. Wenn er an diesem Tag gefallen wäre, dann hätte sich wohl bald der gesamte Kreuzzug aufgelöst. Und ohne seine spürbare, offenbar unbeirrbare Anwesenheit in den vordersten Reihen hätte der Widerstand der Christen wohl sehr schnell nachgelassen. So aber hatten sowohl Richard als auch Saladin das erste direkte Aufeinandertreffen überlebt. Am Ende des Tages erreichten die nachhaltig erschütterten Christen den Schilf-Fluss. Als sie an seinem Ufer ihr Lager aufschlugen, scheint ihnen nicht klar gewesen zu sein, dass nur ungefähr knapp 2 Kilometer flussaufwärts auch die Muslime ihre Zelte aufgestellt hatten. Baha ad-Din beschreibt mit einer gewissen Ironie, dass »wir aus dem oberen, die Feinde dagegen aus dem unteren Flussabschnitt tranken«. 7
[501] DIE SCHLACHT VON ARSUF
Richard war jetzt nur noch 35 Kilometer von Jaffa entfernt. Der Marsch war bisher zwar gefahrvoll und anstrengend gewesen, aber auch ein überwältigender Erfolg. Der König muss allerdings geahnt haben, dass Saladin nun wirklich sämtliche Reserven mobilisierte, um den weiteren Vormarsch der Franken aufzuhalten, denn der Verlust Jaffas wäre für den Islam ein schrecklicher Schlag gewesen. Die geplante Route führte nun weiter durch den Wald von Arsuf zu einem günstigen Lagerplatz neben einem Fluss namens Rochetaille, auf dessen anderer Seite sich vor der kleinen Siedlung Arsuf eine weite, sandige Ebene erstreckte. Im lateinischen Heer machten Gerüchte die Runde, ein Überfall aus dem Hinterhalt oder ein Angriff stehe unmittelbar bevor. Richard ließ seine Truppen neben dem Schilf-Fluss am 4. September ausruhen, und an jenem Abend gelang ihm ein meisterhafter Schachzug. Das unberechenbare Tempo, mit dem die Kreuzfahrer sich voranbewegten, hatte bei Saladin schon für Verwirrung und Zweifel gesorgt und ihn gehindert, die Initiative zu ergreifen. Nun bediente sich der
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