Die Kreuzzüge
zweiten Vorstoß der Kreuzfahrer ins Landesinnere überlebt, und Jerusalem befand sich nach wie vor in seiner Hand, doch die muslimischen Truppen waren völlig erschöpft, und das ajjubidische Reich stand kurz vor dem Zusammenbruch. Der dritte Kreuzzug hatte unterdessen keine tödliche Niederlage hinnehmen müssen, allerdings war sein kriegerisches Potential durch unentschlossenen Führungsstil verschleudert worden. Die fränkische Einheit, die vor noch gar nicht so langer Zeit durch die Wahl Heinrichs von Champagne als Titularkönig des lateinischen Palästinas einen so produktiven Auftrieb erhalten hatte, war unwiderruflich zerbrochen, und der Verbund der lateinischen Truppenteile löste sich auf (Hugo von Burgund und die Franzosen sammelten sich in Cäsarea). Richard hatte nun weder genügend Kämpfer noch ausreichend materielle Ressourcen zur Verfügung, und daher gab er den Plan, in Ägypten eine neue Front zu eröffnen, irgendwann auf. Gleichzeitig beschäftigte ihn ständig die Sorge um die Vorgänge in Europa. Weder das Heer der Christen noch die Truppen der Muslime waren in der Lage, den Krieg in Palästina zu gewinnen. Es blieb also nichts anderes übrig, als sich ernsthaft auf Friedensverhandlungen einzulassen.
Viel Zeit verging in diesem Sommer mit langwierigen Verhandlungen; jede Seite bemühte sich um die für sie günstigsten Bedingungen, immer auf der Suche nach Gelegenheiten, diplomatische Druckmittel einzusetzen. Eine solche Chance kam Ende Juli 1192: Richard befand sich zeitweise in Akkon, und Saladin nutzte dessen Abwesenheit für einen Angriff auf Jaffa. Nur noch wenige Stunden, und der Sultan hätte den Hafen eingenommen, doch der König kehrte zu Schiff zurück, nachdem er von dem Angriff erfahren hatte, um die fränkische Besatzung zu befreien. Der König watete durchs Wasser an Land und stürzte sich [547] sofort in einen kühnen Gegenangriff, mit dem er die Muslime zurücktrieb. Außerhalb Jaffas schlug Richard ein Lager auf und wehrte zornentbrannt alle Versuche ab, seine Stellung zu überrennen, obwohl er mit seinen Gefolgsleuten an Zahl deutlich unterlegen war. Unterstützt wurde er von einer kleinen Gruppe Getreuer – darunter Heinrich von Champagne, Robert von Leicester, Andreas von Chauvigny und Wilhelm von L’Estang –, und es hieß, der König habe »sein Schwert mit schnellen Schlägen geschwungen, er kämpfte sich durch die angreifenden Feinde, hieb sie entzwei, wo er sie traf, erst auf der einen Seite, dann auf der anderen«. Als Befehlshaber des Kreuzzugs mochte Richard Löwenherz gescheitert sein, doch er war und blieb ein zweifellos überragender Krieger von furchteinflößendem Ruf. Ein muslimischer Zeuge berichtet, um den 4. August herum sei Richard sogar allein vor den ajjubidischen Reihen erschienen, mit der Lanze in der Hand, ganz der kühne Herausforderer, »doch keiner wollte gegen ihn antreten«. Kurz darauf befahl Saladin seinen Truppen, sich zurückzuziehen, doch er war sehr erzürnt, weil sich seine Leute sträubten, gegen diese Naturgewalt anzutreten.
Faktisch kann der Ärger des Sultans – und die ungewöhnliche Widerspenstigkeit seiner Soldaten im Kampf vor den Toren Jaffas – zumindest teilweise dadurch erklärt werden, dass Richard sich auf verschlungenere Methoden im diplomatischen Krieg verlegt hatte. Zum Verdruss des Sultans unternahm sein christlicher Gegner unaufhörliche und zunehmend erfolgreiche Versuche, freundschaftliche Beziehungen zu führenden ajjubidischen Emiren zu knüpfen. Schon 1191 hatte der König ein gewisses Interesse gezeigt, das Rivalitäts- und Konfliktpotential zwischen dem Sultan und seinem Bruder al-Adil auszutesten. Nun, in der zweiten Hälfte des Jahres 1192, als das Tempo und die Intensität der Verhandlungen zunahmen, weitete Richard diese Strategie aus, er nahm die Gespräche mit al-Adil wieder auf, leitete aber auch Kontakte zu mehreren anderen muslimischen Potentaten in die Wege, die zu Saladins innerem Beraterkreis gehörten. Die Personen, die er anvisierte, verhielten sich gegenüber dem Sultan nicht unbedingt illoyal, doch sie waren sich wie alle anderen auch darüber im Klaren, dass der Kreuzzug sich seinem Ende zuneigte, und sie konnten zu Recht annehmen, dass ihre Rolle in etwaigen künftigen Vereinbarungen deutlich zu verbessern war, wenn sie als Friedensvermittler auftraten.
[548] Richard pflegte seine Kontakte bewusst öffentlich – wahrscheinlich wollte er Saladin demonstrieren, dass das Bedürfnis seiner
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