Die Kreuzzüge
kleineren Teilen, die zwar ein gemeinsamer Glaube verband – der römische Katholizismus –, doch waren sie aus allen möglichen Bereichen Westeuropas zusammengezogen worden. Es gab tatsächlich gravierende Verständigungsprobleme – so fragte sich der nordfranzösische Kreuzfahrer Fulcher von Chartres: »Wer hat je ein solches Sprachengewirr in einem einzigen Heer vernommen?«
Diese disparate Masse brauchte die Führung durch eine starke Hand. Die Gesetze militärischer Logik ließen vermuten, dass der Kreuzzug sich ohne eine klar bestimmte Führungspersönlichkeit mit Sicherheit auflösen und zusammenbrechen würde. Aber seit dem Sommer 1097 hatte die Unternehmung keinen Oberbefehlshaber mehr. Der päpstliche Legat, Adhémar von Le Puy, konnte den geistlichen Vorrang beanspruchen, und der Grieche Tatikios bot seine Ratschläge an, aber in der Praxis war keiner im Besitz der absoluten Befehlsgewalt. Die Kreuzfahrer mussten sich im Gegenteil durch einen Prozess immer neuen Ausprobierens und [70] Anpassens eine Organisationsstruktur erst erarbeiten und sich dabei weitgehend auf den integrierenden Einfluss ihres gemeinsamen frommen Zieles stützen. Entgegen allen Erwartungen waren sie dabei äußerst erfolgreich. Ihr wertvollstes Entscheidungsinstrument waren die Beratungsgespräche in der Führungsgruppe, eine normalerweise im Rahmen militärischer Unternehmungen völlig verpönte Methode. Von nun an trat ein Gremium aus führenden fränkischen Fürsten – darunter Raimund von Toulouse und Bohemund von Tarent – zur Diskussion und Festlegung der Vorgehensweise zusammen. Schon bald wurde ein gemeinsamer Fonds gegründet, in den die gesamte Beute floss, um anschließend neu verteilt zu werden. Hier musste auch entschieden werden, wie der Zug durch Kleinasien am besten zu bewältigen war.
Wegen seines immensen Umfangs konnte der Kreuzzug sich unmöglich als ein einziges Heer vorwärtsbewegen. Eine Kolonne aus 70 000 Menschen hätte Tage gebraucht, bis alle einen bestimmten Punkt passiert hatten. Auf der Suche nach Proviant hätten sie die Gebiete, durch die sie kamen, wie eine Heuschreckenplage verwüstet. Doch konnten es sich die Christen auch nicht leisten, in kleineren Kontingenten getrennt zu marschieren, wie sie es auf ihrem Weg bis Konstantinopel getan hatten, denn Kilidsch Arslan und die seldschukischen Türken stellten nach wie vor eine sehr reale Bedrohung dar. Die Fürsten beschlossen daher schließlich, das Heer in zwei große Gruppen aufzuteilen, die unterwegs in engem Kontakt bleiben sollten. 16
Die Schlacht von Doryläum
Am 29. Juni 1097 setzte sich die Gruppe aus Bohemunds süditalienischen Normannen und dem Heer Roberts von der Normandie in Marsch; in einigem Abstand folgten ihnen die Truppen Gottfrieds von Bouillon, Roberts von Flandern und die Provençalen. Man wollte sich nach einem ungefähr viertägigen Marsch in südöstliche Richtung in Doryläum, einem aufgegebenen byzantinischen Militärlager, wieder vereinigen. Die Pläne des Seldschuken Kilidsch Arslan sahen allerdings anders aus. Nach seiner schmachvollen Niederlage in Nicäa hatte er jetzt ein schlagkräftiges Heer aufgestellt und hoffte, die Kreuzfahrer aus dem Hinterhalt überfallen zu können, während sie sein Land durchquerten. Die Aufteilung des Kreuzfahrerheers in zwei Gruppen begünstigte sein [71] Vorhaben. Am Morgen des 1. Juli griff er auf einer Ebene in der Nähe von Doryläum, wo zwei Täler aufeinandertrafen, Bohemunds und Roberts Vorausabteilung an. Ein Mitglied der Truppen Bohemunds erinnerte sich an den Schrecken, den das plötzliche Auftauchen der Türken im Heer auslöste: »Sie begannen alle auf einmal zu heulen und zu kreischen und zu schreien und riefen mit lauter Stimme in ihrer eigenen Sprache irgendwelche teuflischen Sprüche, die ich nicht verstand, [. . .] und schrien wie Dämonen.« Kilidsch Arslan war mit einem Trupp leicht bewaffneter, wendiger Reiter gekommen und hoffte, die weniger beweglichen Kreuzfahrerreihen in heilloses Chaos zu stürzen. Die türkischen Krieger umringten die Kreuzfahrer wie ein Wirbelsturm und überschütteten sie mit einem unaufhörlichen Pfeilhagel. Die Lateiner waren durch die Taktik der Angreifer gewaltig erschüttert. Ein Augenzeuge, der den Kampf miterlebte, schrieb später: »Die Türken heulten wie Wölfe und schossen wütend eine Wolke von Pfeilen auf uns ab. Wir wurden völlig überrumpelt. Da wir uns in tödlicher Gefahr sahen und viele von uns verwundet waren,
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