Die Kreuzzüge
1097 wurde Gottfried von [64] Bouillon, der als einer der ersten Fürsten eintraf, zusammen mit seinen vornehmsten Gefolgsleuten zu einer Audienz bei Alexios in dessen gewaltigen Blachernen-Palast geladen. Gottfried traf den Kaiser »sitzend« an, »wie es seine Gewohnheit war, und er sah auf seinem Kaiserthron sehr ehrfurchtgebietend aus. Er stand nicht auf, um dem Herzog oder sonst einem Gast einen Willkommenskuss zu entbieten.« Aus dieser Haltung königlicher Majestät heraus forderte Alexios den Franken Gottfried feierlich auf, »jegliche Städte, Länder oder Festungen, die er von nun an besiegen würde und die früher einmal zum Römischen Reich gehört hatten, dem Hauptmann zu übergeben, den der Kaiser bestimmte«. Das hieß, dass jegliches Gebiet, das in Kleinasien und auch jenseits davon erobert wurde, den Byzantinern zu überlassen war. Der Herzog leistete dem Kaiser dann einen Vasallen-Eid, mit dem ein gegenseitiges Band der Verpflichtung entstand: Alexios wurde als Herr des Kreuzzugs bestätigt, und Gottfried durfte im Gegenzug dazu kaiserliche Hilfe und Rat erwarten. In einer typischen Zurschaustellung byzantinischer Freigebigkeit versüßte der Kaiser diesen Kapitulationsakt, indem er den fränkischen Fürsten mit Geschenken überschüttete: mit Gold, Silber, kostbaren Purpurstoffen und wertvollen Pferden. Als das Abkommen dann geschlossen war, schickte Alexios den Besucher und sein Heer schnell über den Bosporus weiter, die enge Wasserstraße, die das Mittelmeer mit dem Schwarzen Meer verbindet und Europa von Asien trennt, um zu verhindern, dass sich vor der Stadt lateinische Truppen stauten, die womöglich die Stabilität Konstantinopels ins Wanken gebracht hätten.
In den Monaten danach folgten praktisch sämtliche führenden Kreuzfahrer dem Beispiel Gottfrieds. Im April 1097 erschien Bohemund von Tarent, um sich mit seinem ehemaligen griechischen Feind auszusöhnen, und leistete den Eid ohne Widerrede. Ein ganzes Gemach voller Geschenke war sein Lohn, bei dessen Anblick ihm, wie Anna Komnena schrieb, fast die Augen aus dem Kopf fielen. Drei fränkische Adlige versuchten, den Fallstricken des Kaisers zu entkommen. Die ehrgeizigen jungen Fürsten Tankred von Hauteville und Balduin von Boulogne überquerten den Bosporus sofort, um dem Eid aus dem Weg zu gehen, wurden aber später zur Eidesleistung überredet. Einzig Raimund, der Graf von Toulouse, widersetzte sich den Angeboten des Kaisers und stimmte schließlich nur einem modifizierten Vertrag zu, der ihm das Versprechen abverlangte, Macht und Besitztümer des Kaisers unangetastet zu lassen. 13
[65] Die Belagerung von Nicäa
Die wichtigsten Truppen des ersten Kreuzzugs versammelten sich an der Küste Kleinasiens im Februar 1097, und im Lauf der folgenden Monate fanden sich allmählich bis zu 75 000 Personen, darunter 7500 schwer bewaffnete Ritter zu Pferd und weitere 35 000 leicht bewaffnete Fußsoldaten, dort ein. Der Zeitpunkt ihres Eintreffens an der Grenze zur muslimischen Welt konnte günstiger kaum sein. Mehrere Monate zuvor hatte Kilidsch Arslan, der seldschukische Sultan der Region, den Volkskreuzzug ohne größere Schwierigkeiten vernichtet. In der Meinung, dass diese zweite Welle von Franken eine ähnlich leicht zu bewältigende Gefahr darstellte, brach er wegen eines unbedeutenden territorialen Konflikts in den Osten seines Reiches auf. Dank dieser groben Fehleinschätzung konnten die Christen ungehindert den Bosporus überqueren und im Frühjahr östlich des Bosporus einen Brückenkopf befestigen.
Das erste Ziel der Lateiner ergab sich aus ihrem Bündnis mit den Griechen, und das vorrangige Ziel des Alexios war Nicäa, die Stadt unmittelbar hinter dem Bosporus, die Kilidsch Arslan empörenderweise zu seiner Hauptstadt erklärt hatte. Dieser türkische Stützpunkt im Westen Kleinasiens bedrohte die Sicherheit Konstantinopels unmittelbar, doch bislang waren alle Anstrengungen des Kaisers vergeblich gewesen, die Stadt zurückzuerobern. Aber nun setzte Alexios seine neue Waffe ein: die »barbarischen« Franken. Ein lateinischer Augenzeuge beschrieb, dass »die Stadt von kundigen Männern mit so hohen Mauern umgeben worden war, dass sie weder den Angriff von Feinden noch die Kraft irgendwelcher Maschinen zu fürchten hatte«. Diese 10 Meter hohen Festungsmauern von fast 5 Kilometern Länge umfassten auch über 100 Türme. Erschwert wurde die Situation noch dadurch, dass die Stadt mit ihrer Westseite an den großen Askania-See grenzte;
Weitere Kostenlose Bücher