Die Kreuzzüge
auf diesem Weg konnten der türkischen Besatzung, die wahrscheinlich aus kaum mehr als ein paar tausend Mann bestand, Vorräte und Verstärkung geliefert werden, selbst wenn die Stadt vom Land her von allen Seiten eingeschlossen war.
In der ersten Phase der Belagerung entkamen die Christen nur knapp einer vernichtenden Niederlage. Kilidsch Arslan kehrte im späten Frühjahr aus dem Osten Kleinasiens zurück, nachdem er das Ausmaß der Bedrohung für seine Hauptstadt erkannt hatte. Am 16. Mai versuchte er einen Überraschungsangriff auf die vor Nicäa aufgestellten Truppen; [66] plötzlich tauchten seine Krieger aus den steilen, bewaldeten Hängen südlich der Stadt auf. Die Franken hatten glücklicherweise einen türkischen Spion gefangen genommen, der, als man ihm Folter und Tod androhte, den Plan der Seldschuken verriet. Als dann der Angriff der Muslime begann, waren die Lateiner wohlvorbereitet und erzwangen allein aufgrund ihrer Überzahl Kilidsch Arslans Rückzug. Er konnte entkommen, ohne dass sein Heer allzu sehr dezimiert worden wäre, doch sein militärischer Ruf und die Moral der Besatzung von Nicäa waren durch die Ereignisse ernsthaft beschädigt. Die Kreuzfahrer schlugen, um die Verzweiflung der Feinde noch zu verstärken, vielen hundert türkischen Toten die Köpfe ab, steckten sie auf Spieße und trugen sie vor der Stadt hin und her; einige Köpfe warfen sie sogar über die Mauer, »um noch mehr Schrecken zu erregen«. Diese Art barbarisch-psychologische Kriegsführung war für mittelalterliche Belagerungen typisch und gewiss keine Spezialität der Christen. In den Wochen danach revanchierten sich die Türken Nicäas mit makabrer Hartnäckigkeit, indem sie eiserne Haken an Seilen befestigten und damit die Leichen von fränkischen Kämpfern hochzogen, die in Scharmützeln in der Nähe der Mauern gefallen waren; die verwesenden Kadaver ließen sie von der Mauer herabhängen, »um die Christen zu ärgern«. 14
Nachdem die Kreuzfahrer den Angriff des Seldschuken Kilidsch Arslan zurückgeschlagen hatten, machten sie zur Überwindung der Verteidigungstaktiken Nicäas von einer kombinierten Belagerung Gebrauch. Zum einen zogen sie, in der Hoffnung, Nicäa von der Außenwelt abzuschneiden und seine Besatzer durch physische und psychische Isolation zur Aufgabe zu zwingen, enge Belagerungslinien um die landeinwärts weisenden Mauern der Stadt im Norden, Osten und Süden. Da die Franken jedoch keine Möglichkeit hatten, die Kommunikationsverbindungen in Richtung Westen über den See abzuschneiden, verfolgten sie außerdem noch die aggressivere Strategie einer Angriffsbelagerung. Erste Versuche, die Stadt mit Hilfe von Leitern zu erstürmen, schlugen fehl, und man konzentrierte nun die Bemühungen darauf, eine Bresche in die Mauern zu schlagen. Die Kreuzfahrer bauten einige Steinwurfmaschinen, sogenannte Mangonelle, doch war deren Durchschlagskraft nur begrenzt, und es war nicht möglich, Wurfgeschosse zu schleudern, mit denen man den robusten Wehranlangen nennenswerten Schaden hätte zufügen können. Stattdessen benutzten die Lateiner diese Methode, [67] um die Türken abzulenken und ungestört zu versuchen, Nicäas Mauern buchstäblich zu untergraben.
Das war ein lebensgefährliches Unterfangen. Um an den Fuß der Mauern zu gelangen, mussten die Truppen einen mörderischen Hagel muslimischer Pfeile und Steingeschosse über sich ergehen lassen, und wenn sie ihr Ziel erreicht hatten, waren sie den Angriffen von oben – brennendem Pech und siedendem Öl – ausgesetzt. Die Franken experimentierten mit verschiedenen tragbaren Schutzdächern gegen die Angriffe, mit unterschiedlichem Erfolg. Eine solche Apparatur aus Eichenbalken, die man voller Stolz auf den Namen »Fuchs« getauft hatte, brach prompt zusammen und tötete 20 Kreuzfahrer. Die Südfranzosen hatten mehr Glück, sie bauten eine kräftigere, abgeschrägte Schutzvorrichtung, mit der sie bis zu den Mauern vordringen und beginnen konnten, einen Belagerungsgang auszuheben. Sappeure gruben einen Tunnel unter der südlichen Festungsmauer hindurch; sorgfältig stützten sie den Gang mit Holzbalken ab, bevor sie den Hohlraum dann mit Ästen und Zunderholz anfüllten. An einem Abend um den 1. Juni 1097 herum setzten sie das Holz in Brand, der gesamte Aufbau stürzte ein, und ein kleiner Teil der Befestigungsanlage darüber brach zusammen. Allerdings hatten die Franken das Pech, dass die Mannschaften der türkischen Garnison den Schaden über Nacht reparieren
Weitere Kostenlose Bücher