Die Kreuzzüge
6. Jahrhundert hatten die Römer diese natürlichen Gegebenheiten durch einen Ring von rund 60 durch eine massive Mauer verbundenen Türmen erweitert. Die Mauer war 5 Kilometer lang und bis zu 20 Meter hoch, sie verlief entlang des Flusses und dann hoch über den Staurin bis zu den schroffen Abhängen des Silpius. Einige hundert Meter über der eigentlichen Stadt, in der Nähe des Gipfels des Silpius, krönte eine imposante Zitadelle die Befestigungsanlagen Antiochias. Ende des 11. Jahrhunderts hatte dieses Verteidigungssystem durch Verwitterung und Erdbeben stark gelitten, doch noch immer war es für etwaige Angreifer ein wehrhaftes Hindernis. Ein fränkischer Augenzeuge sah sich zu der Festsstellung veranlasst, dass die Stadt »weder den Angriff von Kriegsmaschinen noch den Ansturm von Menschen zu fürchten hatte, selbst wenn sich alle Menschen verbünden würden, um sie zu belagern«. 2
Den Kreuzfahrern kam es jedoch sehr zustatten, dass das muslimische Syrien sich in einem vollkommen chaotischen Zustand befand. Seit das seldschukische Reich in den frühen 1090er-Jahren auseinandergebrochen [80] war, wurde die Region von Machtkämpfen zerrissen, und die türkischen Potentaten waren mehr an ihren eigenen kleinlichen internen Machtkämpfen interessiert als daran, schnell, konzentriert und geschlossen auf diese unerwartete lateinische Invasion zu reagieren. Die beiden jungen, einander bekriegenden Brüder Ridwan und Duqaq herrschten über die wichtigen Städte Aleppo und Damaskus, doch ihnen waren durch einen Bürgerkrieg die Hände gebunden. Antiochia selbst, die halbautonome Grenzsiedlung des geschwächten seldschukischen Sultanats von Bagdad, wurde von Yaghi-Siyan regiert, einem hinterhältigen, weißhaarigen Stammesfürsten. Er hatte nur die eine Möglichkeit, auf die stabilen Festungsanlagen seiner Stadt zu vertrauen und zu hoffen, dass er den Ansturm der Kreuzfahrer überstehen werde. Als die Franken sich näherten, sandte er an seine muslimischen Nachbarn in Aleppo, Damaskus und sogar nach Bagdad Hilfsappelle und hoffte von dort auf Verstärkung. Außerdem behielt er die vielen griechischen, armenischen und syrischen Christen unter den Bewohnern Antiochias scharf im Blick, weil er sich von ihrer Seite auf Verrat und Spionage gefasst machen musste.
EIN ZERMÜRBUNGSKRIEG
Nach ihrer Ankunft mussten die Lateiner sich für eine Strategie entscheiden. Die massiven Befestigungsanlagen Antiochias waren entmutigend, außerdem fehlten ihnen Handwerker und Material, um die Waffen herzustellen, die sie für einen Angriff auf die Stadt gebraucht hätten – Sturmleitern, Mangonelle und bewegliche Belagerungstürme. Es wurde jedoch schnell klar, dass auch die Zermürbungstaktik Probleme mit sich bringen würde. Die langen Stadtmauern Antiochias, die zerklüfteten Berge vor der Stadt und nicht weniger als sechs Haupttore, die aus der Stadt hinausführten, machten es praktisch unmöglich, die Stadt vollständig zu umzingeln. Die Fürsten einigten sich aufgrund dieser Situation bei einer Versammlung auf eine partielle Blockade, und in den letzten Oktobertagen gingen ihre Truppen vor den drei nordwestlichen Toren der Stadt in Stellung. Später versuchten die Kreuzfahrer, auch die beiden Südeingänge zu sperren. Man baute zu diesem Zweck eine Behelfsbrücke über den Orontes und mehrere provisorische Festungen, mit [81] deren Hilfe die Belagerungsschlinge enger gezogen werden sollte. Aber es blieb ein Zugang frei, das Eiserne Tor, das sich in einer Felsschlucht zwischen Staurin und Silpius befand und für die Kreuzfahrer völlig unzugänglich war. Solange dieses Tor offen war, bildete es für Yaghi-Siyan und seine Truppen in den langen Monaten der Belagerung eine lebenswichtige Verbindungslinie zur Außenwelt.
Vom Herbst des Jahres 1097 an mussten die Franken sich an den zermürbenden Alltag einer Belagerung gewöhnen, wie sie für das ganze Mittelalter typisch war. Diese Form der Kriegsführung brachte zwar häufige kleinere Gefechte mit sich, doch im Wesentlichen bestand die Aufgabe nicht aus bewaffneten Auseinandersetzungen, sondern das physische und psychische Durchhaltevermögen wurde auf die Probe gestellt. Entscheidend war sowohl für die Lateiner als auch für ihre muslimischen Feinde die Kampfmoral, und beide Seiten setzten einige fürchterliche Taktiken ein, um die mentale Widerstandskraft ihrer Gegner zu untergraben. Nachdem die Kreuzfahrer zu Beginn des Jahres 1098 eine größere Schlacht gewonnen hatten,
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