Die Kreuzzüge
kleinlichen Querelen hintanzustellen; vielleicht hielten sie die Kreuzfahrer auch einfach für byzantinische Söldner – jedenfalls reagierten sie auf die Hilferufe Yaghi-Siyans nur mit je einzeln entsandten, unkoordinierten Truppen, die im Dezember 1097 und im Februar 1098 gegen die Franken antraten. Hätten diese beiden großen Städte ihre Streitkräfte vereinigt, dann hätte der erste Kreuzzug in jenem Winter von diesem Heer wahrscheinlich mit einer Katastrophe vor den Mauern Antiochias geendet. Tatsächlich aber gelang es den Lateinern, beide Heere zurückzuschlagen, wenn auch nicht ohne beträchtliche Verluste in den eigenen Reihen.
Den Kreuzfahrern war außerdem bekannt, dass der Islam im Vorderen Orient durch ein noch viel tiefer gehendes Zerwürfnis zwischen den Sunniten und den Schiiten gespalten war; nachdem Alexios Komnenos ihnen geraten hatte, diese Spaltung zu nutzen, hatten sie zu den schiitischen Fatimiden in Ägypten bereits im Sommer des Jahres 1097 Kontakt aufgenommen. Diese reagierten Anfang Februar des Jahres 1098, als eine Gesandtschaft von al-Afdal, dem Wesir von Ägypten, im christlichen Lager vor den Mauern Antiochias eintraf, um die Möglichkeit eines Abkommens mit den Teilnehmern des ersten Kreuzzugs auszuloten. Aus dem recht ausgedehnten Besuch dieser muslimischen Gesandten wurde kein Geheimnis gemacht. Sie hielten sich mindestens einen Monat lang im Lager der Kreuzfahrer auf, und ihre Anwesenheit ist durch die Aufzeichnungen lateinischer Augenzeugen umfangreich dokumentiert. Dabei scheint der freundliche Empfang dieser Gesandtschaft auf nur geringe, möglicherweise auch gar keine Kritik gestoßen zu sein. Stephan von Blois beispielsweise schrieb ganz unbefangen an seine Frau, dass die Fatimiden »Frieden und Eintracht mit uns geschaffen« hätten. Es kam vor Antiochia nicht zu einem definitiven Abkommen zwischen den Kreuzfahrern und den Ägyptern, doch versprachen Letztere »Freundschaft und wohlwollendes Verhalten«, und um ein solches Bündnis zu [86] festigen, wurden lateinische Gesandte mit dem Auftrag nach Nordafrika zum Gegenbesuch geschickt, »einen Freundschaftspakt abzuschließen«.
Bis zum Frühsommer 1098 war es den ersten Kreuzfahrern gelungen, durch Diplomatie und kurze militärische Vorstöße einen direkten Gegenangriff der Muslime abzuwenden. Ende Mai 1098 jedoch kam ein schreckliches Gerücht auf: Ein neuer Feind sei unterwegs. Offenbar hatte der Sultan von Bagdad endlich auf die verzweifelten Hilferufe aus Antiochia reagiert und ein riesiges Entsatzheer aufgestellt. Am 28. Mai berichteten die ins fränkische Lager zurückkehrenden Kundschafter, dass sie »eine [muslimische] Armee« gesehen hätten, die »überall aus den Bergen und auf verschiedenen Straßen wie Sand am Meer zusammenkommt«. Es war der gefürchtete irakische Hauptmann Kerboga von Mosul, der da an der Spitze von rund 40 000 syrischen und mesopotamischen Soldaten heranmarschierte. Bis zu seinem Eintreffen in Antiochia würde es nicht einmal mehr eine Woche dauern. 5
Die Nachricht, dass die sunnitischen Muslime es schließlich doch geschafft hatten, sich gegen die Kreuzfahrer zu vereinigen, schockierte die lateinischen Fürsten. Sie versuchten, diese schrecklichen Neuigkeiten vor der großen Menge zu verheimlichen, weil sie befürchteten, dass andernfalls eine Panik ausbrechen könnte und die Menschen scharenweise desertieren würden. Die Fürsten kamen zu einer Krisenbesprechung zusammen, um eine Strategie auszuarbeiten. Obwohl die Umzingelung der Stadt enger geworden war und der Widerstand Yaghi-Siyans zusehends nachließ, war noch kein schnelles Ende der Belagerung abzusehen. Die Franken waren außerstande, Kerboga in offener Schlacht entgegenzutreten – sie verfügten nur über ungefähr die Hälfte an Kämpfern, außerdem hatten sie nicht genug Pferde, mit denen sie eine Reiteroffensive hätten abwehren können. Nach all den fürchterlichen Anstrengungen und Opfern der zurückliegenden Monate hatte es nun den Anschein, als solle das Heer der Christen unter der heranbrandenden Woge des muslimischen Angriffs an den Mauern Antiochias zermalmt werden.
In diesem kritischen Moment, als es ganz so aussah, als stehe der Kreuzzug vor seinem endgültigen Scheitern, trat Bohemund vor. Er vertrat die Meinung, dass bei der gegebenen Notlage jeder, der Antiochias Sturz bewerkstelligen könne, einen rechtmäßigen Anspruch auf die Stadt erheben dürfe, und nach längerem Hin und Her stimmte man dem im
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