Die Kreuzzüge
dem Verlust von Gliedmaßen bis hin zur Kreuzigung. Wie andere Herrscher, auch Nur ad-Din und Saladin, vor ihm, berief sich Baibars auf die Bedrohung durch äußere Feinde, um seinen autokratischen Herrschaftsstil zu rechtfertigen. Neu war allerdings, dass nunmehr die Mongolen zum eigentlichen Landesfeind erklärt wurden. So erhob man etwa gegen den unbedeutenden ajjubidischen Möchtegern-Fürsten al-Mughith, als der Sultan ihn abgesetzt haben wollte, Vorwürfe, er unterhalte Beziehungen zur Dynastie der Ilkhane von Persien, und man präsentierte als Beweis Briefe, die Hülegü angeblich an al-Mughith geschrieben hatte.
Der eigentliche Grundstein von Baibars’ Autorität im Vorderen Orient jedoch war noch vor aller List und Brutalität die Kommunikation. Er war der erste Muslim des Mittelalters, dem es gelang, die gesamte [670] Levante von Ägypten aus zu regieren, weil er Unsummen in Netzwerke zum Transport von Nachrichten investierte. Viele Jahrhunderte zuvor hatten die Byzantiner und die ersten Abbasiden bereits Gebrauch von einem System der Nachrichtenübermittlung mit Kurieren gemacht, doch das war schon längst aufgegeben. Baibars schuf sein eigenes barid (Postsystem), indem er Gruppen berittener Boten einsetzte, die sorgfältig ausgewählt wurden und deren Verlässlichkeit außer Frage stand. Sie wechselten ihre Pferde an gewissenhaft instand gehaltenen Poststationen entlang der wichtigsten Straßen durch das mamlukische Reich. So konnten diese Männer regelmäßig innerhalb von vier Tagen eine Botschaft von Damaskus nach Kairo befördern; mit einer Eilbotschaft schafften sie es sogar in drei Tagen. Ausschließlich der Sultan bediente sich des barid ; und die beförderten Briefe wurden auch immer umgehend Baibars persönlich ausgehändigt und hatten, ganz gleich, womit der Sultan gerade beschäftigt war, oberste Priorität. Einmal soll ihm ein Bote seine Nachricht sogar im Bad vorgetragen haben. Um den reibungslosen und schnellen Transfer der Informationen zu garantieren, setzte man die größeren Straßen und Brücken wieder instand; neben den Boten bediente man sich auch eines Systems von Signalfeuern und setzte Brieftauben ein. Diese bemerkenswerte – und kostspielige – organisatorische Leistung ermöglichte es dem Sultan, mit den entferntesten Regionen des Mamlukenreichs in Kontakt zu bleiben, vor allem mit den Teilen im Norden und Osten, die an mongolisches Gebiet grenzten. So konnte er sowohl auf militärische Bedrohungen als auch auf Unruhen bei den eigenen Untertanen mit unerhörter Schnelligkeit reagieren. 8
In Verbindung mit Baibars’ persönlichem Herrschaftsstil führte dieses Bündel an praktischen und administrativen Reformen Mitte der 1260er-Jahre zur Konsolidierung des Mamlukenstaats und zur stabilen Verankerung der Zentralmacht. Allerdings hatte dieses Herrschaftssystem auch seine Schwächen. Der Erfolg der extrem zentralisierten Regierungstätigkeit des Sultans hing weitgehend von dessen Charakter und seinen persönlichen Fähigkeiten ab, was zwingend die Frage aufwarf, wie bereitwillig der Mantel des Herrschers später einmal an einen Nachfolger abgegeben würde. Baibars bemühte sich, die Vorstellung, der Sultan der Mamluken müsse durch Wahl bestimmt werden, zum Verschwinden zu bringen: Im August 1264 versuchte er, eine eigene Dynastie zu begründen, indem er seinen vierjährigen Sohn Baraka als Mitregenten einsetzte. [671] Ob dieser Plan aufgehen konnte, blieb fraglich, weil die Elite der Mamluken das persönliche Verdienst viel höher schätzte als ererbte Eigenschaften und Ansprüche.
Baibars knüpfte in diesen frühen Jahren außerdem eine Beziehung zu dem Sufi-Mystiker Hadir al-Mihrani, die sich später als ausgesprochen schädlich herausstellen sollte. Sie freundeten sich bei einem Besuch des Sultans in Palästina im Jahr 1263 an. Hadir behauptete, ein Prophet zu sein, galt jedoch in den Augen vieler Angehöriger des Mamlukenhofs als schönrednerischer Betrüger. Baibars war beeindruckt von den Vorhersagen des Sufis, der ihm für die Zukunft zahlreiche Erfolge der Mamluken in Aussicht stellte (von denen viele tatsächlich eintraten), und belohnte ihn mit Ländereien in Kairo, Jerusalem und Damaskus. Hadir wurde uneingeschränkter Zugang zum engsten Kreis des Sultans gewährt, und er war offenbar – zum großen Verdruss der führenden Beamten – in sämtliche Staatsangelegenheiten eingeweiht. Diese merkwürdige Beziehung verrät, dass sogar ein kaltblütiger Despot wie
Weitere Kostenlose Bücher