Die Kreuzzüge
Wesentlichen zu, unter der Bedingung, dass dieser Anspruch an den [87] Kaiser Alexios übergehen werde, falls er kommen und ihn für sich reklamieren sollte. Nachdem der listenreiche Bohemund damit die Angelegenheit in seinem Sinn geregelt hatte, legte er die Karten auf den Tisch. Er war, so ließ er wissen, mit einem Überläufer in der eingeschlossenen Stadt, einem armenischen Hauptmann der Turmwache namens Firuz, in Kontakt getreten, der bereit war, die Stadt durch Verrat auszuliefern.
Wenige Tager später, in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni, erkletterte eine kleine Gruppe von Männern aus Bohemunds Truppe auf einer Leiter aus Rinderhaut eine abgelegene Sektion der südöstlichen Stadtmauer, wo Firuz auf sie wartete. Sogar mit der Unterstützung durch den Verräter war dieser Einsatz so riskant, dass Bohemund selbst es vorzog, unten zu warten, denn wenn irgendjemand die Sache bemerkt und Alarm geschlagen hätte, wäre der isolierte Voraustrupp mit Sicherheit abgeschlachtet worden. Doch es gelang, die Wachen der drei nächstgelegenen Türme schnell und unauffällig zu überwältigen und in der Mauer unten einen kleinen Seiteneingang zu öffnen. Bis zu diesem Augenblick kam alles darauf an, nicht entdeckt zu werden. Als sich jedoch die Tür in der Mauer öffnete, blies Bohemund in ein Horn, um einen zweiten, koordinierten Angriff auf Antiochias Zitadelle in Gang zu setzen. Die Stille der Nacht wurde zerrissen durch den Schlachtruf der Franken: »Gott will es! Gott will es!« Der wachsende Tumult durchbrach die Dunkelheit und überrumpelte die Besatzung der Stadt vollständig. Einige byzantinische Christen, die noch in Antiochia lebten, griffen ihre muslimischen Herren an und beeilten sich, die übrigen Stadttore aufzustoßen.
Der Widerstand fiel nun mehr und mehr in sich zusammen, und die Kreuzfahrer strömten nach Antiochia hinein, getrieben von dem übermächtigen Wunsch, die Last von acht Monaten aufgestauter Wut und Aggression loszuwerden. Im Zwielicht der nahenden Morgendämmerung begann ein chaotisches Gemetzel. Ein lateinischer Zeitgenosse beschrieb, dass sie »keinen Muslim aufgrund von Alter oder Geschlecht verschonten, die Straßen waren bedeckt mit Blut und Leichen, darunter auch griechische, syrische und armenische Christen – kein Wunder, denn in der Dunkelheit konnten sie nicht unterscheiden, wen sie verschonen und wen sie abschlachten konnten«. Danach, so der Bericht eines anderen Kreuzfahrers, waren »alle Straßen der Stadt voller Leichen, wegen des Gestanks hielt es dort keiner länger aus, und es konnte auch keiner durch die engen Gassen der Stadt gehen, ohne auf Leichen zu treten«. Mitten [88] in diesem unkontrollierten Blutvergießen und den anschließenden Plünderungen sorgte Bohemund dafür, dass seine blutrote Standarte über der Stadt gehisst wurde, die herkömmliche Methode, um den Anspruch auf erobertes Territorium geltend zu machen. Gleichzeitig eilte Raimund von Toulouse durch das Brückentor und besetzte sämtliche Gebäude in der Umgebung des Tores, darunter den Palast von Antiochia, womit er innerhalb der Stadt einen gewichtigen provençalischen Stützpunkt markierte. Nur die Zitadelle hoch oben auf dem Silpius blieb in muslimischer Hand, unter dem Kommando des Sohnes von Yaghi-Siyan. Der Hauptmann selbst hatte entsetzt die Flucht ergriffen, wurde aber sofort von einem Bauern aus der Umgebung gefangen genommen und enthauptet. 6
Bohemunds hinterhältiger Plan war erfolgreich umgesetzt worden, und er beendete die erste Belagerung von Antiochia, doch es blieb kaum Zeit, den Sieg zu feiern. Am 4. Juni, nur einen Tag nach der Eroberung der Stadt, traf die Vorhut von Kerbogas Heer ein. Die heranströmenden muslimischen Truppen hatten Antiochia schnell umzingelt, und die Teilnehmer des ersten Kreuzzugs saßen in der Falle.
DIE BELAGERTEN
Die zweite Belagerung Antiochias im Juni 1098 stellte die größte Krise für den Kreuzzug dar. Den Lateinern war es gelungen, eine Zweifrontenschlacht zu vermeiden, doch nun sahen sie sich selbst, umschlossen von den Mauern Antiochias, in der Rolle der Belagerten. Es gab nach der ersten Belagerung fast keine Vorräte mehr in der Stadt, die Kreuzfahrer fanden also kaum Verpflegung oder sonstige Hilfsgüter vor. Und da sich die Zitadelle noch in feindlicher Hand befand, blieb der mächtige Verteidigungsring auf fatale Weise geöffnet. Das gesamte Unternehmen stand am Rand des Zusammenbruchs.
Nur noch ein schwacher Hoffnungsschimmer blieb den
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