Die Kreuzzüge
Westen heimkehren. Am Ende des Sommers hatten sie sich Robert von der Normandie und Robert von Flandern angeschlossen, die auf Schiffen von Syrien aus aufbrachen, und ließen Gottfried mit nur 300 Rittern und ungefähr 2000 Fußsoldaten zur Verteidigung Palästinas zurück. Tankred war der Einzige unter den namhafteren Kreuzfahrern, der ebenfalls zurückblieb; er hielt Ausschau nach der Möglichkeit, eine eigene unabhängige Herrschaft im Osten zu begründen.
Es gab, wenn überhaupt, nur wenige Kreuzfahrer, die bei ihrer Rückkehr nach Europa mit Reichtümern beladen waren. Die Beute, die man in Jerusalem und Askalon gemacht hatte, war offenbar schnell von den Reisekosten verschlungen, und viele erreichten ihre Heimat nur in einem Zustand fast völliger Armut, Krankheit und Erschöpfung. Viele hatten eine andere Form frommer »Schätze« bei sich: Reliquien der Heiligen, Stücke von der Heiligen Lanze oder vom Wahren Kreuz, oder schlichte Palmzweige aus Jerusalem, Abzeichen der abgeleisteten Pilgerreise. Peter der Einsiedler beispielsweise brachte Reliquien von Johannes dem Täufer und vom Heiligen Grab nach Hause und gründete zu ihren Ehren dann auch ein Augustiner-Priorat in der Nähe von Lüttich. Fast allen Kreuzfahrern wurde große Anerkennung für ihre Leistungen zuteil, und es bürgerte sich die Gewohnheit ein, sie mit dem rühmenden Beinamen hierosolymitani , also »Reisende nach Jerusalem« zu bezeichnen.
Natürlich gab es auch Hunderte, wenn nicht Tausende Franken, denen keine »heroische Rückkehr« zuteil wurde – Männer wie Stephan von Blois, die die Expedition vorzeitig verlassen, also ihr Pilgergelübde gebrochen hatten. Diese »Deserteure« wurden bei der Heimkehr mit Schmähungen überschüttet. Stephan wurde von seiner Frau Adela öffentlich beschimpft. Er und viele andere versuchten, den Makel dieserSchande dadurch zu beseitigen, dass sie sich auf ein neues Unternehmen einließen – den Kreuzzug des Jahres 1101. Seit 1096 hatte Papst Urban II. immer wieder größere lateinische Verstärkungstruppen angespornt, sich zur Unterstützung der Kreuzfahrer auf den Weg in die Levante zu machen. Er starb im Sommer 1099, unmittelbar bevor die Botschaft von der Einnahme Jerusalems in Rom eintraf, doch sein Nachfolger, Paschalis II., machte sich Urbans Berufung zu eigen und regte eine groß angelegte Expedition zur militärischen Unterstützung der entstehenden fränkischen Niederlassungen im Osten an. Aufgrund der allgemeinen Begeisterung, die die Geschichten von den Siegen des ersten Kreuzzugs entfacht hatten, fand diese Unternehmung großen Zulauf, sowohl aus den Reihen der blamierten Rückkehrer als auch von vielen tausend neu gewonnenen Anhängern. Es machten sich Menschenmengen auf den Weg, die denen, die 1096/1097 aufgebrochen waren, entsprachen, sie vielleicht sogar übertrafen. Sie zogen nach Konstantinopel, wo der altgediente Fürst Raimund von Toulouse zu ihnen stieß, der vor kurzem in Byzanz eingetroffen war, um sein Bündnis mit Kaiser Alexios zu erneuern.
Trotz dieser Kampfstärke entwickelte sich der Kreuzzug des Jahres 1101 verheerend. Der Rat Stephans von Blois und Raimunds von Toulouse, nur vereint weiterzumarschieren, wurde in den Wind geschlagen. Stattdessen brachen drei getrennte Heere zur Durchquerung Kleinasiens auf, und jedes ereilte sein Schicksal in Gestalt einer mächtigen Koalition aus einheimischen Seldschuken-Herrschern, die mittlerweile nur zu genau wussten, was für eine Bedrohung die Invasion der Kreuzfahrer darstellte. Die Kreuzfahrer dieses Jahres hatten das Ausmaß des feindlichen Widerstands sträflich unterschätzt, und in mehreren vernichtenden militärischen Zusammenstößen wurden sie praktisch aufgerieben. Von den wenigen, die überlebten, wankte nur noch eine kleine Schar, darunter Stephan und Raimund, weiter nach Syrien und Palästina, und selbst dort war ihnen kein nennenswerter Erfolg mehr beschieden. 11
Es mag überraschen, dass diese Rückschläge im lateinischen Europa den Enthusiasmus für den Kreuzzugsgedanken nicht zu dämpfen vermochten. Viele Zeitgenossen argumentierten vielmehr, die gescheiterte Unternehmung von 1101, die, wie man annahm, der sündhaften Überheblichkeit der Teilnehmenden geschuldet war, habe den wundersamen Glanz der Leistungen des ersten Kreuzzugs nur noch verstärkt. Und trotzdem, ungeachtet der Versuche des Papstes, mit dieser neuen Artreligiös legitimierter Kriegsführung zu experimentieren und das Andenken an den ersten
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