Die Kreuzzüge
mit einem Heer von 20 000 grimmigen Ägyptern im südpalästinischen Hafen Askalon gelandet. Es würde nur noch wenige Tage dauern, bis der Wesir sich nordwärts in Marsch setzte, um Jerusalem für den Islam zurückzufordern. Die Franken befanden sich in einem Zustand innerer Zerstrittenheit, die Zahl ihrer Kämpfer war betrüblich dezimiert, und nun sahen sie sich nach all ihren Strapazen und Leiden mit der sehr realen Möglichkeit konfrontiert, dass auch sie noch vernichtet würden und ihre beachtlichen Leistungen sich in Luft auflösten.
Gottfried wollte nicht auf die Ankunft der Truppen al-Afdals warten, er entschied sich vielmehr, alles auf eine Karte zu setzen und die Ägypter anzugreifen. Am 9. August verließ er die Heilige Stadt, seine Truppen marschierten barfuß, als reuige Soldaten Christi, und wurden begleitet von Patriarch Arnulf und der Reliquie vom Wahren Kreuz. In den nächsten paar Tagen schaffte es Gottfried, eine eher unwillige letzte lateinische Allianz zusammenzubringen, der sich auch Raimund von Toulouse anschloss. Die Reihen des einst so riesigen fränkischen Heeres waren auf einen abgehärteten Kern von Überlebenden des Kreuzzugs zusammengeschmolzen, eine Truppe, die sich insgesamt auf ungefähr 1200 Ritter und 9000 Fußsoldaten belief. Diese marschierten am 11. August gen Süden in Richtung Askalon; am Ende des Tages fiel ihnen eine Gruppe ägyptischer Spione in die Hände, die ihnen al-Afdals Schlachtplan verrieten und auch die Größe und Aufstellung seiner Streitkräfte. Das feindliche Heer war ihnen an Zahl doppelt überlegen, und deshalb entschieden sich die Kreuzfahrer für einen Überraschungsangriff. Im Morgengrauen des folgenden Tages überfielen sie die vor Askalon stationierten ägyptischen Truppen, die noch schliefen. In allzu großem Vertrauen [121] auf seine Übermacht hatte al-Afdal es versäumt, ausreichend Wachtposten aufzustellen, und die Franken konnten eine Reihe fassungsloser muslimischer Kämpfer nach der anderen niedermachen. Als die lateinischen Ritter dann bis ins Zentrum des Lagers vordrangen und dort al-Afdals Standarte und die meisten seiner Besitztümer an sich rissen, verwandelte sich die Schlacht schnell in einen Rückzug:
In ihrer großen Furcht kletterten [die Ägypter] auf Bäume und versteckten sich dort, nur um aus den Ästen wie stürzende Vögel wieder herunterzufallen, als unsere Männer sie mit ihren Pfeilen durchbohrten und mit ihren Lanzen töteten. Später enthaupteten die Christen sie überflüssigerweise mit dem Schwert. Andere Ungläubige warfen sich den Christen in höchstem Entsetzen zu Füßen. Dann hieben unsere Männer sie in Stücke, als würden sie Vieh für den Fleischmarkt zurichten. 10
Al-Afdal floh, außer sich vor Schreck und Entsetzen, nach Askalon und schiffte sich umgehend nach Ägypten ein, so dass die Kreuzfahrer jeglichen noch verbleibenden Widerstand zerschlagen und üppige Beute machen konnten, darunter sogar das kostbare Schwert des Wesirs selbst. Der erste Kreuzzug hatte seine letzte Prüfung bestanden, doch die kleinlichen Streitigkeiten, in die seine Führer schon seit so langer Zeit verwickelt waren, forderten einen hohen Preis. Askalons Besatzer waren in jenem August mehr als bereit, sich zu ergeben, doch sie verlangten, mit Raimund von Toulouse zu verhandeln, dem einzigen Franken, von dem man wusste, dass er während der Plünderung Jerusalems sein Wort nicht gebrochen hatte. Gottfried aber, der befürchtete, Raimund könnte dadurch zu einem eigenen unabhängigen Herrschaftsbereich an der Küste kommen, mischte sich ein, womit die Verhandlungen zum Erliegen kamen. Aufgrund dieser vergeudeten Chance blieb Askalon in muslimischer Hand. In den folgenden Jahrzehnten schaffte es eine wiedererstarkende ägyptische Kriegsflotte, diese Bastion in Palästina zu halten, und das neue Königreich Jerusalem blieb demzufolge ägyptischen Angriffen gefährlich ausgesetzt.
[122] Rückkehr nach Europa
Nach dem Sieg von Askalon sahen die meisten Kreuzfahrer ihre Aufgabe als erfüllt an. Gegen jede Wahrscheinlichkeit und sämtliche Erwartungen hatten sie die mörderische Pilgerreise ins Heilige Land überlebt, sie hatten die »wunderbare« Wiedereroberung Jerusalems geschafft und die Streitmacht des fatimidischen Ägypten zurückgeschlagen. Von den Zehntausenden, die Jahre zuvor das Kreuz genommen hatten, war nur noch ein Bruchteil übrig, und die große Mehrheit dieser Überlebenden wollte nun so schnell wie möglich in Richtung
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