Die Kreuzzüge
besonders für das Absonderliche, Ungewöhnliche; das von ihm zusammengetragene Material muss also mit einer gewissen Vorsicht verwendet werden; dennoch bleibt sein Werk eine unschätzbare Informationsquelle. Zum Phänomen der orientalisierten Lateiner vermerkt er: »Es gibt einige Franken, die sich hier eingewöhnt haben und Gesellschaft mit den Muslimen pflegen. Sie sind besser als die, die gerade erst aus ihren Heimatländern eingetroffen sind, doch stellen sie eine Ausnahme dar und können nicht als typisch gelten.« Im Lauf seines Lebens traf Usama mit Franken zusammen, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatten, levantinische Speisen zu sich zu nehmen, und mit anderen, die das hammam (Badehaus) aufsuchten, das sowohl Lateinern als auch Muslimen offenstand.
Einer der überraschendsten Einblicke, die Usamas Schriften gewähren, ist der ungezwungene, fast alltägliche Ton seiner Begegnungen mit Franken. Einige finden zwar im Zusammenhang mit Kämpfen statt, doch es gibt auch viele Situationen, die von freundschaftlicher Höflichkeit geprägt sind. Vielleicht liegt das daran, dass Usama aus dem Adel stammte, doch es wird ganz offensichtlich, dass Lateiner mit Muslimen freundschaftliche Beziehungen pflegten. In einem Fall beschreibt Usama, wie »ein angesehener Ritter [aus dem Heer König Fulks] anfing, Gefallen an meiner Gesellschaft zu finden, und er wurde mein ständiger Begleiter und nannte mich ›mein Bruder‹. Zwischen uns gibt es Bande der Freundschaft und der Geselligkeit.« Allerdings schwingt in dieser Geschichte ein Unterton mit, der auch für viele andere Passagen im Buch der Betrachtung kennzeichnend ist: ein tief verwurzeltes Bewusstsein kultureller und intellektueller Überlegenheit der Muslime. Im Zusammenhang mit seinem Freund, dem Ritter, wird dieser Unterton deutlich, als der Franke anbietet, Usamas 14-jährigen Sohn mit sich zurück nach Europa zu nehmen, damit der Junge eine richtige Erziehung bekommen und »Verstand erwerben« könne. Usama bemerkt dazu, dieser groteske Vorschlag enthülle »den fränkischen Mangel an Intelligenz«.
Ebenfalls überraschend war Usamas freundschaftliches Verhältnis zu den Tempelrittern:
[200] Als ich in Jerusalem die heiligen Stätten aufsuchte, wollte ich mich zur al-Aqsa-Moschee begeben, neben der eine kleine Moschee stand, die die Franken in eine Kirche umgewandelt hatten. Als ich die Moschee betrat – wo sich die Templer aufhalten, die meine Freunde sind –, räumten sie die kleine Moschee aus, damit ich darin beten konnte.
Usama konnte offenbar ungehindert seine Pilgerreise in die Heilige Stadt unternehmen, und er fand auf fränkischem Gebiet außerdem eine Moschee, in der er seine vorgeschriebenen täglichen Gebete verrichten konnte. Genossen demnach alle Muslime unter lateinischer Herrschaft dieses Recht auf Ausübung ihrer Religion? Wurde die gesamte nicht-fränkische Bevölkerung Outremers so behandelt, oder gab es auch Opfer der Unterdrückung und Ausgrenzung? Eines steht fest: Im lateinischen Orient verlief die schärfste Trennungslinie nicht zwischen Christen und Muslimen, sondern zwischen Franken (das heißt lateinischen Christen) und Nicht-Franken (seien das nun byzantinische Christen, Juden oder Muslime). Diese letztere Gruppe der unterworfenen einheimischen Völker bestand zum großen Teil aus Bauern und einigen Händlern. 11
In juristischen Fragen wurden Nicht-Franken im Allgemeinen als eigene Klasse behandelt: Wegen gröberer Rechtsverstöße wurden sie (ebenso wie nichtadlige Lateiner) dem »Bürger«gericht unterstellt, hier durften Muslime ihre Eide auf den Koran ablegen; doch zivilrechtliche Fälle kamen vor die Cour de la Fonde (oder Marktgerichtshof), der eigens für Nicht-Franken eingerichtet worden war. Die Einrichtung begünstigte die orientalischen Christen, denn das Richterkollegium bestand aus zwei Franken und vier Syrern; Muslime waren nicht vertreten. Aufgrund der lateinischen Gesetzgebung in Outremer wurden zudem muslimische Straftäter wohl härter bestraft.
Ein Gutteil der historischen Auseinandersetzung um die Behandlung der muslimischen Untertanen konzentrierte sich auf die alltäglichen Rechte zur Religionsausübung und die finanzielle Ausbeutung. In diesen Fragen erhalten wir wertvolle Aufschlüsse von dem muslimischen Reisenden und Pilger Ibn Dschubair, der von der Iberischen Halbinsel kommend kurz nach 1180 eine große Reise durch Nordafrika, Arabien, den Irak und Syrien unternahm; er kam durch das Königreich
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