Die Kreuzzüge
Augenzeuge, als der behandelnde lateinische Arzt ihr erst den Kopf kahlschor, daraufhin »zu einem Rasiermesser griff und dann auf ihrem Kopf einen Schnitt in Form eines Kreuzes anbrachte. Dann schälte er die Haut zurück, so dass der Schädel bloßgelegt wurde, und rieb ihn mit Salz ein. Die Frau starb auf der Stelle.« Usama schloss mit den trockenen Worten: »Als ich aufbrach, hatte ich über ihre Medizin Dinge erfahren, die mir bis dahin verborgen geblieben waren.« Lateinische Siedler in den Kreuzfahrerstaaten scheinen bemerkt zu haben, dass die Muslime und die byzantinischen Christen über reiches medizinisches Wissen verfügten; einige, wie in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die fränkische Königsfamilie von Jerusalem, ließen sich von nicht-lateinischen Ärzten behandeln. Doch gab es auch unter der Leitung abendländischer Christen einige hervorragende [205] medizinische Zentren wie etwa das riesige, Johannes dem Täufer geweihte Hospital in Jerusalem, das vom Ritterorden der Johanniter betrieben wurde.
Die künstlerische Verschmelzung, aus der auch der Melisende-Psalter hervorging, findet sich in Bauwerken wieder, die damals in den Kreuzfahrerstaaten entstanden; hervorragendstes Beispiel ist der umfassende Wiederaufbau am Heiligen Grab in Jerusalem während der Regierungszeit Fulks und Melisendes. Als die Franken Palästina eroberten, befand sich die Kirche in einem Zustand fortschreitenden Zerfalls. In den 1130er- und 1140er-Jahren erneuerten die Lateiner diese heiligste aller heiligen Stätten, sie entwarfen ein angemessenes majestätisches Gebäude, das zum ersten Mal die unterschiedlichen Heiligtümer umschließen sollte, die in Verbindung mit der Passion Christi standen: darunter die Kalvarienkapelle (dort, wo, wie man annahm, die Kreuzigung geschehen war) und das Heilige Grab. In dieser Zeit war auch die Grabeskirche eng mit der fränkischen Krone von Jerusalem verbunden; hier fanden die Krönungen und die Beisetzungen der Könige statt.
In der Grundausrichtung orientierte sich der neue Plan für das Heilige Grab am westeuropäischen »romanischen« Stil des frühen Mittelalters und wies eine gewisse Ähnlichkeit zu anderen großen lateinischen Pilgerkirchen im Abendland auf, darunter der Kirche in Santiago de Compostela. Die »Kreuzfahrer«-Kirche unterschied sich davon noch durch einige weitere Merkmale – wie die große gewölbte Rotunde –, doch ergaben sich diese Besonderheiten zum Teil aus der einzigartigen Lage des Sakralbaus und aus dem Bestreben der Baumeister, so viele »heilige Stätten« wie möglich unter einem Dach zu versammeln. Die Kirche des Heiligen Grabes in ihrem heutigen Zustand ist im Großen und Ganzen noch dieselbe wie im 12. Jahrhundert, allerdings ist das Meiste der innenarchitektonischen »Kreuzfahrer«-Ornamentik (ebenso wie die königlichen Gräber) verlorengegangen. Von den großen lateinischen Mosaiken existiert nur noch eines – an der Decke der Kalvarienkapelle, nur schwer zu finden in diesem dämmrigen Gemäuer – mit einer Darstellung Jesu im byzantinischen Stil. Der Haupteingang zum Gebäude durch das große Zwillingsportal im südlichen Querschiff war von einem Paar überreich verzierter steinerner Türstürze überspannt: Auf dem linken sind Szenen aus den letzten Lebenstagen Jesu zu sehen, darunter auch das Abendmahl; der andere zeigt ein komplexes geometrisches Netz von [206] Weinranken, zwischen denen menschliche und mythologische Figuren auftauchen. Diese Türstürze befanden sich bis in die 1920er-Jahre hinein an ihrem angestammten Platz, dann wurden sie zum Schutz vor Verwitterung in ein nahegelegenes Museum gebracht. Die Skulpturen an der Südfassade spiegeln durchweg fränkischen, griechischen, syrischen und muslimischen Einfluss wider.
Die neue »Kreuzfahrer«-Kirche wurde am 15. Juli 1149 geweiht, auf den Tag genau 50 Jahre nach der Eroberung Jerusalems. Dieses Gebäude sollte die unübertreffliche Heiligkeit des Heiligen Grabes – des geistigen Mittelpunkts der Christenheit – bezeugen, verkünden und preisen. Außerdem war es eine kühne Zurschaustellung der Zuversicht der Lateiner, dass die fränkische Herrschaft und die Macht ihrer königlichen Dynastie von Dauer sei; schließlich diente es als ein Denkmal, das – gerade auch, indem es glanzvoll die kulturelle Vielfalt von Outremer bezeugte – die Leistungen des ersten Kreuzzugs feierte. 17
Das gottgeweihte Land des Glaubens und der Anbetung
Die »Kreuzfahrer«-Kirche vom
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