Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Vater um den Hals zu fallen.
In diesem Moment hörte er Amanon draußen nach ihm rufen. Behutsam verschloss er die Truhe und machte noch einen kurzen Abstecher in den Keller, wo er sich die Taschen mit Käsegebäck und Honigkuchen vollstopfte. Er hatte einen ganzen Tag nichts gegessen, und mittlerweile knurrte ihm der Magen.
Sein Cousin saß schon im Sattel. Obwohl er das Rapier an Caels Hüfte sofort bemerkte, sagte er nichts. Der Junge schwang sich ebenso wortlos auf seine Stute und folgte dem einzigen Mitglied seiner Familie, das nicht spurlos verschwunden war.
Es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, Amanon zu fragen, wohin sie eigentlich ritten. Im Grunde war es ihm auch egal.
Er konzentrierte sich nur darauf, sich nicht noch einmal nach dem Haus umzudrehen, in dem er zur Welt gekommen war.
***
So plötzlich, wie sie in Ohnmacht gefallen war, kam Eryne wieder zu sich. Sie hatte das seltsame Gefühl zu schweben. Dann begriff sie, dass jemand sie trug, und begann sich heftig zu wehren, bis sie ihren Bruder erkannte.
Nolan stellte sie behutsam auf die Füße, damit sie ihr Gleichgewicht wiederfinden konnte. Doch Eryne wurde sofort wieder schwindelig, und sie musste sich an einer Wand abstützen, um nicht umzukippen. Im ersten Augenblick fragte sie sich, wo sie wohl sein mochte und was geschehen war. Dann fiel ihr alles wieder ein. Ihre Eltern waren verschwunden. Die Legionäre hatten sich als Verräter entpuppt. Roban von Sarcy war heimtückisch erstochen worden.
Sie sah sich nach dem Ermordeten um, erblickte aber nur Nolan und die drei Legionäre. Sie schienen sich noch immer im Schloss des Grafen zu befinden. Vielleicht hatten sie die Bibliothek soeben erst verlassen? Eryne konnte nicht sagen, wie lange sie bewusstlos gewesen war.
Ein kurzer Blickwechsel mit ihrem Bruder bestätigte ihr, dass das alles nicht nur ein böser Traum gewesen war. Roban war tatsächlich tot, war grausam ermordet worden. Die Erkenntnis traf sie mit solcher Wucht, dass sie sich an Nolan klammerte und in seinen Armen Trost suchte. Warum nur? Warum Roban? Und warum sie beide?
In ihre Verzweiflung mischte sich nagendes Schuldbewusstsein. Wenn sie den Grafen nicht um Hilfe gebeten hätten, wäre er noch am Leben. Eryne bereute auch, Roban schöne Augen gemacht zu haben. Sie hatte ihm damit zwar nur für seine Gastfreundschaft danken wollen, aber letztendlich hatte es dazu geführt, dass er sie so entschieden verteidigt hatte. Und das war ihm zum Verhängnis geworden.
Mit einem lauten Schluchzer, der fast wie ein Stöhnen klang, vergrub sie den Kopf an Nolans Schulter, verwünschte das Schicksal, das ihnen so übel mitspielte, und dankte zugleich den Göttern, dass sie und ihr Bruder noch am Leben waren.
»Wenn Ihr laufen könnt, dann los«, sagte der größte der drei Männer.
Als sie seine Stimme hörte, vergaß Eryne vor lauter Zorn ihren Kummer. Sie schluckte die Tränen hinunter und baute sich vor dem Mann auf, ohne das Schwert zu beachten, das er auf sie gerichtet hielt.
»Ich werde Euch an den Galgen bringen«, sagte sie mit vor Hass bebender Stimme. »Alle drei! Noch vor Ablauf einer Dekade werde ich Euch auf dem Platz von Uliterra am Strick baumeln sehen, das schwöre ich Euch. An der Seite von Robans Vater werde ich Eurer Hinrichtung beiwohnen und laut jubeln, wenn Euch der Strang des Henkers das Genick bricht!«
Falls ihre Drohung die Männer beeindruckte, ließen sie es sich nicht anmerken. Nach längerem angespannten Schweigen bedeutete der Legionär Eryne mit einer knappen Handbewegung, den Flur hinunterzugehen. Sie gehorchte hochmütig, ohne ihren verächtlichen Blick zu verlieren. Halb hatte sie gehofft, die Mörder mit ihren harschen Worten aus der Fassung zu bringen, doch sie ließen sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen, was sie auch im Schilde fuhren mochten.
Vielleicht hatte Nolan schon mehr erfahren. Leider war das eher unwahrscheinlich, denn die Legionäre behaupteten ja, selbst nicht mehr zu wissen. Waren sie unverfrorene Lügner oder tatsächlich nur willfährige Handlanger?
In jedem Fall schwiegen sie hartnäckig, wie schon vor dem Mord an Roban.
Eryne versuchte vergeblich, gegen die Verzweiflung anzukämpfen, die in ihr aufstieg. Vor nicht einmal zwei Tagen hatte sie ein glückliches, unbeschwertes, behütetes Leben geführt und sich mit nichts anderem beschäftigt als mit dem bevorstehenden Ball im Schloss des Grafen von Kolimine. Wie hatte alles so schnell in einer Katastrophe enden können?
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