Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Welches Unheil stand ihnen noch bevor?
Am meisten litt sie darunter, sich so wehrlos zu fühlen. Niemand würde ihnen zu Hilfe eilen. Diesmal waren weder ihr lebenslustiger Vater noch ihre fürsorgliche Mutter für sie da, kein mächtiger Freund würde sie beschützen, kein treuer Dienstbote für sie sorgen. Kein einziger Bediensteter des Grafen ließ sich blicken, während sie das Haus durchquerten. Vielleicht hatten sie entsprechende Anweisungen erhalten, oder sie fürchteten um ihr Leben. Was würde wohl passieren, wenn sich einer von ihnen den Mördern in den Weg zu stellen wagte? Er würde wie sein Herr gnadenlos niedergemetzelt werden. Eryne würde es nicht ertragen, einen weiteren Unschuldigen sterben zu sehen – außerdem war ihr klar, dass ohnehin niemand auf ihre Hilferufe reagieren würde. Sie waren allein, sie und ihr kleiner Bruder, und blickten einem Schicksal entgegen, das sie sich nur in den düstersten Farben ausmalen konnte.
Vor lauter Empörung und Wut bekam sie wieder feuchte Augen, und sie musste blinzeln, als sie ins gleißende Sonnenlicht hinaustraten. Vor nicht einmal einem Dekant war sie an Robans Arm durch diesen Park spaziert.
Der schöne Morgen hatte einen herrlichen Tag verheißen, und jetzt …
Obwohl ihr immer mehr Tränen übers Gesicht liefen, weinte sie stumm. Mit streng gerunzelter Stirn und erhobenem Kinn ließ sie sich von den Legionären durch den Park zum Tor fuhren. Vermutlich würden auch sie und Nolan nie wieder in Lorelia gesehen werden, sobald sie das Eingangstor passiert hatten. Die Familie von Kercyan wäre ausgelöscht, und ihre Mörder würden unbehelligt bleiben. Irgendwann würde sich niemand mehr daran erinnern, dass sie überhaupt gelebt hatten.
Es waren nur noch zwanzig Schritte bis zum Tor, hinter dem die Straße verlassen dalag. Schon erreichten sie das Pförtnerhäuschen. Mit würdigem Stolz zählte Eryne die Dezillen und versuchte sich dem Unvermeidlichen zu fügen … Da schwang plötzlich die Tür zum Pförtnerhaus auf.
Die Grauen Legionäre zogen augenblicklich ihre Waffen und spähten vorsichtig hinein. Eryne rechnete damit, den Alten zu sehen, der sie am Vorabend so rüde empfangen hatte, aber stattdessen sprang unter wildem Gebrüll ein fremder junger Mann aus dem Haus und rannte sie geradezu über den Haufen. Nachdem er einem der Mörder mit seinem Speer den Magen durchbohrt hatte, ergoss sich ein Schwall von Blut auf den weißen Kieselweg, und ehe der Verletzte überhaupt begriff, wie ihm geschah, zerschmetterte ihm eine Eisenstange Nase und Schädel.
Ohne sein Opfer eines weiteren Blickes zu würdigen, stürzte sich der Angreifer auf die beiden anderen Legionäre, während er in einer fremden Sprache gellende Kriegsschreie ausstieß und seine seltsame Waffe durch die Luft wirbelte wie ein Kampfakrobat.
Das Gesicht des Mannes sagte Eryne nichts, aber seinen Umhang erkannte sie sofort: Es war ein schwerer, pelzgefütterter Reisemantel, der für Lorelia eigentlich viel zu warm war. Einen solchen Mantel hatte der Kerl vor ihrem Haus getragen. Der wild um sich schlagende Wüterich war der Mann, der am Vortag vor ihrem Eingangstor Wache gehalten hatte!
Eryne war zu verwirrt und verblüfft, um an Flucht zu denken. Stattdessen verfolgte sie einen Kampf, bei dem es auch um ihr Leben ging. Die Legionäre beherrschten ihre Waffen perfekt, doch der Unbekannte setzte ihnen eine so unbändige, urwüchsige Kraft entgegen, dass sie kaum gegen ihn ankamen. Allein sein Anblick lehrte seine Gegner das Fürchten. Er war groß und kräftig, das braune Haar flog ihm ins Gesicht, und unter seinem Hemd aus Wildleder spielten gewaltige Muskeln. Mit tiefer, rauer Stimme schleuderte er den Mördern seine Kampfschreie entgegen. Eryne vermutete, dass er aus den Ländern des Ostens kam, aus Thalitt vielleicht. Aber so abstoßend, wie sie sich die Menschen aus diesen barbarischen Gegenden immer vorgestellt hatte, kam ihr der Mann gar nicht vor.
Während Nolan seinen Stockdegen zog, hieb der Unbekannte auf die verbliebenen zwei Legionäre ein. Er schlug so brutal zu, dass sie immer weiter zurückwichen und der Anführer der Mörder zuletzt sogar sein Schwert fallen ließ. Nolan hechtete auf den wehrlosen Mann zu, doch sobald er in Reichweite war, verließ ihn der Mut. Sein Gegner nutzte sein Zögern, um seine Waffe aufzuheben und in Stellung zu gehen. Er hätte den Novizen mit fünf oder sechs Stößen erledigen können, versuchte aber lediglich, ihn zu entwaffnen. Obwohl
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