Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
alles zu verzichten, was ihre eigene Persönlichkeit ausmachte. Warum war Zui'a nicht zu diesem Opfer bereit? Und das führte sie zu einer weiteren Frage, die sie bisher immer weggeschoben hatte: War das gerecht?
Der Zweifel war neu für sie und nagte an ihr wie ein tiefer Schmerz. Dazu kam die bittere Enttäuschung, dass Zui'a nicht die allmächtige Göttin war, die die Judikaturen des Lus'an seit Jahrhunderten verehrten. Stattdessen hatte die Unsterbliche Angst vor einem einfachen Dämon und verhielt sich wie ein niederträchtiges Marktweib. Das fand Zejabel am schlimmsten: Seit sie den Erben begegnet waren, schreckte die Göttin vor keiner Lüge zurück!
Bei jeder misstrauischen Frage der Fremden zog Zui'a ihren Hals aus der Schlinge, indem sie Wahrheit und Lüge vermischte. Zejabel fühlte sich jedes Mal gedemütigt und verraten, wenn die Unsterbliche, die sie seit ihrer frühsten Kindheit verehrte, arglistig um ihr Leben schacherte. Wie sollte sie noch an eine Lehre glauben, die ein so unwürdiges Verhalten rechtfertigte? Womöglich log Zui'a sogar ihre Kahati an!
Obwohl Zejabel zutiefst verstört war, ließ sie sich nichts anmerken. Schließlich konnte sie sich nicht offen gegen ihre Herrin stellen. Hatte sie ihr nicht schon immer gedient? Ihr Platz war an ihrer Seite, was auch geschehen mochte, und sehr bald würde etwas geschehen. Sie hatten jetzt den Abgrund am anderen Ende der Höhle erreicht; in der Tiefe hörte man das Meer rauschen.
»Ihr solltet an der Wand stehen bleiben«, sagte die Unsterbliche ruhig. »Ihr werdet doch wohl nicht …«, stammelte der Riese.
»Es geht nicht anders«, versicherte Zui'a. »Ohne den Wächter können wir die Pforte nicht öffnen. Wie Ihr wisst, sahen Eure Eltern all die Jahre nur den Widerschein früherer Durchquerungen der Pforte.«
»Ich verstehe kein Wort. Geht das nur mir so?«, warf der Wallatte ein.
Keiner der Erben sagte etwas, und so zuckte er nur mit den Schultern. Zejabel dachte bei sich, dass sie ziemliches Glück gehabt hatte, als er sie plötzlich von hinten angefallen hatte. Nur ihrer blitzschnellen Reaktion war es zu verdanken, dass sie den Kampf gewonnen hatte. Ebenso gut hätte es anders ausgehen können. »Es gibt hier ein Ungeheuer, das die Pforte bewacht«, erklärte der Junge. »Tante Corenn erzählt in ihrem Tagebuch davon. Damit sich die Pforte öffnen kann, muss der Leviathan anwesend sein, sonst blicken wir nur auf ein verschwommenes Bild. Wir können das Jal sehen, es aber nicht betreten.«
»Aha«, sagte der Krieger ungerührt.
»Könnt Ihr tatsächlich den Ewigen Wächter rufen?«, erkundigte sich der Ramgrith. »Alle Kinder des Jal sind dazu fähig«, antwortete Zui'a. »Aber wir machen nur selten davon Gebrauch.«
Ohne weitere Erklärung wandte sie sich dem Abgrund zu und begann vor sich hinzumurmeln. Selbst Zejabel verstand die seltsamen Laute nicht, doch sie spürte die Kraft der fremden Sprache. Plötzlich hätte sie sich am liebsten in einem dunklen Winkel verkrochen. Sie entfernte sich von den Erben und lehnte sich an die gegenüberliegende Höhlenwand. Ihr kam der Gedanke, dass ihr Platz eigentlich an der Seite der Göttin sein sollte, wie sonst auch, aber diesmal brachte sie es einfach nicht über sich.
Zui'a murmelte immer weiter vor sich hin, sie beschwor ein Seeungeheuer, von dessen Existenz die Kahati bis vor wenigen Dekanten nichts gewusst hatte. Die Worte der Göttin schienen sich in der Höhle auszubreiten wie kalter Wind, während Zejabel das Gefühl hatte, ihr Herzschlag begleite jede Silbe. In einem Anflug von Heimweh kamen ihr die monotonen Gesänge der Novizen im Palast des Lus'an in den Sinn. Dann verstummte die Göttin ebenso plötzlich, wie sie zu sprechen begonnen hatte. Die Stille hielt nicht lange an. Aus dem Abgrund drang ein Brodeln, das erahnen ließ, dass sich ein riesiger Körper aus den Fluten erhob. Gleich darauf ertönte ein rasselndes Schnaufen, und Zejabel überlief es eiskalt. Am liebsten wäre sie geflohen, so schnell sie ihre Beine trugen, oder hätte zumindest die Fackel weggeworfen, mit der sie ganz allein im Herzen der Finsternis stand, aber sie wagte nicht, sich zu regen. Den Erben schien es nicht anders zu gehen: Sie klammerten sich an ihre Fackeln und rührten sich nicht vom Fleck.
Der Leviathan begann die Klippe emporzuklettern. Sie hörten seine scharfen Krallen über den Fels kratzen, und er stieß ein bedrohliches Röcheln aus. Obwohl die Kahati wusste, was sie erwartete, fühlte sie
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