Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
dieser Nacht kaum ein Auge zu. In den letzten Tagen war einfach zu viel geschehen. So etwas konnte niemand aushalten, ohne an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu geraten! Sie wollte der Familie von Kercyan Ehre machen und stark sein, aber das war leichter gesagt als getan. Wehmütig dachte sie an die süßen Träume von einst, an die Sorglosigkeit, mit der sie im Haus ihrer Eltern Nacht für Nacht eingeschlummert war. Es kam ihr vor, als wäre das schon unendlich lange her. War sie tatsächlich diese kokette, unbekümmerte junge Dame gewesen? Offenbar schon. Aber diese Eryne gab es nicht mehr. Sie war zusammen mit Roban von Sarcy in den Tod gegangen.
Eryne merkte, dass sie sich verändert hatte, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Sie war und blieb eine gewöhnliche Sterbliche, selbst wenn alle das Gegenteil behaupteten. Zugegeben, sie hatte einige unerklärliche Dinge erlebt, aber deswegen musste sie noch lange nicht der Erzfeind sein. Was konnte sie schon gegen einen Dämon ausrichten? Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch kein Schwert angerührt. Das waren Flausen, die Züia und ihre Gehilfin ihnen in den Kopf gesetzt hatten – alles Lügen, wie die Behauptungen, die sie in die Finsternis des Karu hatten locken sollen. Nachdem sie sich dekantenlang den Kopf zermartert hatte, war sie am nächsten Morgen schlechter Laune. Zum Glück war Niss eine angenehm zurückhaltende Zimmergenossin, und Eryne bemühte sich, möglichst leise zu sein, als sie aufstand und in die Kombüse ging. Dort traf sie allerdings nur auf Cael, der wieder einmal in Corenns Tagebüchern las.
»Wo sind die anderen?«, fragte sie, nachdem sie ihm einen Guten Morgen gewünscht hatte.
»Mano, Bowbaq und Keb sind oben an Deck«, gab er Auskunft. »Nolan und Zejabel sind … noch nicht aufgestanden«, fügte er verlegen hinzu.
Überrascht drehte sich Eryne zur Koje ihres Bruders um. Dann wanderte ihr Blick zur Tür der zweiten Kajüte, und sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Auf einmal hielt sie es keinen Moment länger unter Deck aus und rannte die Treppe hinauf. Der graue Himmel, der über der Stadt hing, trübte ihre Stimmung noch mehr. Obwohl es nach Regen aussah, herrschte im Hafen munteres Treiben. Hunderte Träger eilten mit Säcken, Fässern und anderen Behältern hin und her: Sie entluden die Trieren, Vierruderer und Großsegler, deren Besatzungen bereits mit dem Ablegemanöver begannen, um an den Festungsmauern von Leem entlang wieder aufs Meer hinaus zu steuern. Andere Schiffe warteten darauf, beladen zu werden, bevor sie auf dem Kanal weiter ins Landesinnere bis zum Alt und von dort aus in die Hauptstadt segelten. Dieser Route, die drei bis vier Tage in Anspruch nahm, wollten auch die Erben folgen. Eryne zögerte kurz, ob sie sich tatsächlich den Blicken der Menschenmenge aussetzen wollte, aber die Fischer und Matrosen schienen anderes zu tun zu haben, als sie anzuglotzen. Mürrisch schlenderte sie über das Deck und stieß auf Kebree, der an den Fockmast gelehnt dasaß. Unverbesserlich, wie er war, hatte er seinen Verband abgenommen. Unter dem offenen Pelzmantel war seine bloße Brust zu sehen. Eryne setzte schon zu einer Ermahnung an, als Keb ihr mit einem Grinsen den Wind aus den Segeln nahm. »Ihr seid allein?«, fragte sie, während er aufstand.
»Jetzt nicht mehr!«, erwiderte er augenzwinkernd. »Was meinst du, sollen wir miteinander durchbrennen?«
»Ihr könnt mir ja noch nicht mal ein Pferd bieten!«, sagte sie lachend. »In Wallos habe ich mehr als vierzig. Und wenn mir hier keiner eins verkaufen will, stehle ich eben welche. Niemand würde uns finden. Nicht einmal Sombre.« Eryne war gern auf den Scherz eingegangen, doch Kebs Blick verwirrte sie. Er meinte es doch nicht etwa ernst? Gewiss, in mancher Hinsicht fand sie ihn durchaus anziehend, aber alles aufgeben und sich mit ihm ins Abenteuer stürzen? Selbst wenn sie nicht in Lebensgefahr schweben würden und sich unter anderen Umständen begegnet wären, war das nicht so einfach.
»Wo ist Amanon?«, fragte sie nach einer langen Pause.
Kebs Gesicht verfinsterte sich. »Mit Bowbaq unterwegs. Sie wollten ein paar Sachen besorgen und den Zoll für den Kanal bezahlen. Mich haben sie zum Aufpasser bestimmt, aber davon habe ich die Nase voll«, sagte er verdrießlich. Er wandte sich ab und stapfte so schnell davon, dass sein langes Haar im Wind flatterte. In dieser Laune wollte Eryne ihn nicht so einfach ziehen lassen, schließlich hatte er den Erben
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